Seltene Erkrankungen
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EINE UNABHÄNGIGE KAMPAGNE VON MEDIAPLANET
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Seltene Erkrankungen
Die Waisen der Medizin
NICHT VERPASSEN:
Alagille-Syndrom
Wenn das eigene Kind eine
seltene Lebererkrankung hat
Seite 04
Morbus Fabry
Eine Erbschaft mit Folgen
Seite 12
Das Bardet-Biedl-Syndrom
Im Fokus der Forschung steht,
die enorme Last Betroffener
zu mindern
Seite 14
"Ich versuche, meine Erkrankung
ganzheitlich zu sehen und sie in
mein Leben zu integrieren –
ohne mich dabei von ihr
einschüchtern zu lassen."
Stefanie Peheim über ihr Leben
mit Primärer Myelofibrose.
2
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VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT
IN DIESER AUSGABE FEBRUAR 2023
Miriam Hähnel
Das Thema Seltene
Erkrankungen
gehört in die
Öffentlichkeit:
auch über den
Rare Disease Day
hinaus. Denn hinter
jeder und jedem
Betroffenen steht
ein persönliches
Schicksal.
IN DIESER AUSGABE
FOTO: SHUTTERSTOCK_1919214356
facebook.com/MediaplanetStories
@Mediaplanet_germany
Please recycle
06
Wissen bündeln, Situation für
Betroffene verbessern
Kai Pilgermann ist betroffen von GIST
und engagiert sich als Patientenvertreter
der Deutschen Sarkom-Stiftung.
17
Leben ohne Sicht heißt nicht:
aussichtslos!
Linda Meschke hat Retinitis Pigmentosa,
eine seltene Netzhauterkrankung, und
engagiert sich in der Patientenselbsthilfe
der PRO RETINA e. V.
Director Business Development Health: Miriam Hähnel,
Geschäftsführung: Richard Båge (CEO), Philipp Colaço
(Managing Director), Alexandra Lassas (Content and
Production Manager), Henriette Schröder (Sales
Director), Lea Hartmann (Grafik), Cover: Stefanie
Peheim von Melanie Peterseil
Mediaplanet-Kontakt: [email protected]
Alle Artikel, die mit "in Zusammenarbeit mit"
gekennzeichnet sind, sind keine neutrale Redaktion der
Mediaplanet Verlag Deutschland GmbH.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die
gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich,
weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche
Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle
Geschlechter.
Eva Luise Köhler
Schirmherrin
der Allianz Chronischer
Seltener
Erkrankungen e. V.
Weitere Informationen
finden Sie unter:
www.achse-online.de
Text
Eva Luise Köhler
Liebe Leserinnen und Leser,
etwa 8000 Seltene Erkrankungen
wurden bisher entdeckt, stetig
kommen neue hinzu. 4 Millionen Menschen
in Deutschland sind betroffen,
darunter besonders viele Kinder. Zum
Tag der Seltenen Erkrankungen, der am
letzten Tag im Februar begangen wird
und mittlerweile fest in vielen Kalendern
verankert ist, ist die Aufmerksamkeit für
dieses Thema besonders groß. Redaktionen
erkundigen sich nach den Entwicklungen.
Gerne berichte ich über die Erfolge, auf
die wir mittlerweile blicken können: Da
sind die 35 Zentren für Seltene Erkrankungen
bundesweit, die zudem europäisch
vernetzt und qualitätsgeprüft
ihre wertvolle Arbeit bei der Diagnosefindung
und Behandlung leisten. Das
Nationale Aktionsbündnis für Menschen
mit Seltenen Erkrankungen NAMSE
ist nach zehn Jahren immer noch die
Vernetzungsplattform aller relevanten
Akteure, stellt sicher, dass die Maßnahmen
aus dem Nationalen Aktionsplan
weiter vorangetrieben und neue eruiert
werden. Zahlreiche Innovationsfondprojekte
ermöglichen die Erprobung von
Versorgungskonzepten, die dann in die
Regelversorgung übergehen sollen, wie
mit TRANSLATE-NAMSE schon geschehen.
Und: Die Seltenen Erkrankungen
sind ein Thema – in Politik, Öffentlichkeit,
Gesundheitswesen etc. Dies ist auf
nationaler Ebene vor allem den mittlerweile
130 Selbsthilfeorganisationen zu
verdanken, die sich unter dem Dach der
Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen
(ACHSE) e. V. zusammengeschlossen
haben und die gemeinsam mit ihrem
Netzwerk die wichtigen Anliegen aller
betroffenen Menschen und deren Angehöriger
vorantreiben.
Diese Anliegen wollen wir am Tag der
Seltenen Erkrankungen ganz besonders
in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
rücken. Denn den meisten Betroffenen
läuft die Zeit davon. Es sind die Eltern, die
um ihr kleines Kind bangen, dessen Krankheit
keiner kennt, weil sie nicht erforscht
ist. Betroffene, die immer noch jahrelang
vergeblich auf der Suche nach der
richtigen Diagnose durch unser Gesundheitssystem
irren, um zu erfahren, dass
es weder Medikation, noch eine Therapie
oder gar Heilung gibt. Angehörige, die
mit der Pflege allein gelassen sind, die um
Heil- und Hilfsmittel kämpfen, mit Kassen,
die ihre Erkrankung nicht kennen
und Anträge immer wieder ablehnen. Sie
alle haben keine Zeit zu verlieren.
Schenken Sie den
Seltenen Erkrankungen
Ihre Aufmerksamkeit und
den Menschen echtes
Interesse. Drücken Sie
Ihre Solidarität mit den
Betroffenen aus und
signalisieren Sie ihnen
Ihre Unterstützung.
Für die nahe Zukunft wünsche ich mir,
dass wir die Kräfte in der Politik, im
Gesundheitswesen, in Wissenschaft und
Forschung noch viel stärker bündeln.
Dass Strukturen geschaffen oder vorhandene
so vernetzt, genutzt und gefördert
werden, dass die vielen betroffenen
Menschen mit Seltenen Erkrankungen
eine adäquate Versorgung erhalten und
eine Chance auf Heilung. Dafür setze ich
mich ein, als Schirmherrin der ACHSE
und mit der Eva Luise und Horst Köhler
Stiftung. Was können Sie tun? Schenken
Sie den Seltenen Erkrankungen Ihre Aufmerksamkeit
und den Menschen echtes
Interesse. Drücken Sie Ihre Solidarität
mit den Betroffenen aus, signalisieren Sie
ihnen Ihre Unterstützung, informieren
und verbreiten Sie das Wissen, dass es
Seltene Erkrankungen gibt – zum Tag
der Seltenen Erkrankungen und darüber
hinaus.
Mehr zum Thema erfahren Sie in dieser
Sonderbeilage, ich wünsche Ihnen eine
erhellende Lektüre.
Ihre Eva Luise Köhler
(Schirmherrin ACHSE e. V.)
Wir danken folgenden Partnern für die Zusammenarbeit.
Albireo Pharma, Inc.
www.albireopharma.com
Amicus Therapeutics GmbH
www.amicusrx.de
BioCryst Pharma Deutschland GmbH
www.biocryst.de
Deciphera Pharmaceuticals Germany GmbH
www.deciphera.com
Dr. Falk Pharma GmbH
www.drfalkpharma.de
GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG
de.gsk.com
Hormosan Pharma GmbH
www.hormosan.com
Janssen-Cilag GmbH
www.janssen.com/germany
Novartis Pharma GmbH
www.novartis.de
Rhythm Pharmaceuticals, Inc.
www.rhythmtx.com
Vertex Pharmaceuticals (Germany) GmbH
www.vrtx.de
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EoE – daran müssen Sie nicht
schwer zu schlucken haben!
Die Zahl derer, denen die seltene Speiseröhrenerkrankung eosinophile Ösophagitis (EoE) Schluckbeschwerden
macht, steigt nachweislich und vor allem in Industrieländern. Als Ursache werden Allergene in der Nahrung und
der Luft vermutet. Im Interview berichtet Prof. Dr. Ahmed Madisch, Facharzt für Gastroenterologie und
EoE-Spezialist, wie sich die belastende Krankheit gut in Schach halten lässt.
FOTO: SHUTTERSTOCK_133428116
Text
Doreen Brumme
Prof. Dr.
Ahmed Madisch
Centrum Gastroenterologie
Bethanien,
Agaplesion
Krankenhaus
Bethanien
Prof. Dr. Madisch, was passiert bei der
EoE im Körper Betroffener?
Bei EoE-Betroffenen ist die Barrierewirkung
der Schleimhaut der Speiseröhre
gestört. Das macht die Schleimhaut
durchlässig für Allergene, mit denen sie
über Speisen, Getränke und die Luft in Kontakt
kommt. Die Allergene dringen in die Schleimhaut
ein und verursachen lokale Entzündungen,
die mit der Zeit die Gewebestruktur verändern
können, sodass die natürliche Schluckbewegung
beeinträchtigt und auch schmerzhaft ist – insbesondere,
wenn man Gröberes wie Fleisch oder
Trockenes wie Brot isst. Schlimmstenfalls bleiben
Speisebrocken in der Speiseröhre stecken und
müssen in einer Notfallendoskopie entfernt werden.
Wie wird die EoE diagnostiziert und was
erschwert die Diagnose mitunter?
Ein Verdacht auf EoE lässt sich beim Gastroenterologen
mit Gewebeproben der Speiseröhre
schnell und sicher bestätigen. Allerdings kommt
dieser Verdacht nicht sofort auf. Denn Betroffene
passen ihre Ernährungsweise oft lange an, indem
sie auf bestimmtes Essen ganz verzichten, stets
sehr gut kauen und mit viel Flüssigkeit „spülen“.
Und selbst wenn sie mit ihren Beschwerden
zum Arzt gehen, beschreiben sie diese mitunter
ungenau, sodass selbst der Arzt, dem die seltene
Erkrankung EoE ein Begriff ist, nicht sofort an
diese denkt. Verwechslungen mit der Refluxkrankheit
sind nicht selten.
Gibt es den „typischen EoE-Patienten“?
Ja. Am häufigsten bekommen Männer zwischen
30 und 40 Jahren die Diagnose EoE, Frauen sind
eher seltener betroffen. Typisch sind begleitende
Allergien und Erkrankungen wie Neurodermitis,
Heuschnupfen und Asthma.
Einmal im
Jahr sollte ein
Gastroenterologe
den Verlauf
checken.
Welche Therapien gibt es für Betroffene und
wie bewerten Sie diese?
Wir behandeln die EoE mit einem lokal wirkenden
Kortison in Tablettenform. Schmelztabletten
mit Brauseeigenschaften werden morgens und
abends in den Mund gelegt, wo sie sich auflösen.
Bei über 90 Prozent der damit Behandelten normalisiert
sich das Entzündungsgeschehen, sodass
sie beschwerdefrei leben können.
Wer auf das Kortison nicht anspricht oder es nicht
verträgt, kann die EoE auch mit einer Eliminationsdiät
gut behandeln. Diese ist aber mit teilweise
erheblichen Einschränkungen im täglichen
Leben verbunden und nur mit sehr viel Disziplin
durchzuhalten. In Kürze kommt zudem eine Antikörpertherapie
auf den Markt, die als Reservetherapie
angewendet werden kann. Die Antikörper
werden einmal pro Woche per Spritze über
die Bauchdecke verabreicht.
Worauf kommt es an, wenn man die EoE
erfolgreich in Schach halten möchte?
Die EoE ist eine sich langsam einschleichende
chronische Erkrankung. Deshalb bleibt nur beschwerdefrei,
wer nach der ersten Akuttherapie
dauerhaft gegenhält. Einmal im Jahr sollte ein
Gastroenterologe den Verlauf checken.
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Jasmin* - Selbstbewusst
auf einer Therapie bestehen!
FOTO: SHUTTERSTOCK_1390020572
„Es war mir schon länger klar, dass irgendetwas nicht stimmt. Aber es hat lange gedauert,
mir einzugestehen, dass meine Schluckbeschwerden zunehmen und ich zum Arzt muss“,
erzählt Jasmin. Die inzwischen 39-jährige Krankenschwester litt vier Jahre an chronischen
Schluckstörungen, bevor sie einen Arzt aufsuchte.
„Angefangen hat alles in einem chinesischen Restaurant“, berichtet Jasmin. „Ich habe ein
Reisgericht gegessen und urplötzlich ist ein Bissen nicht mehr weitergerutscht und regelrecht
im Hals stecken geblieben“. Es dauerte eine Weile, bis der schmerzhafte Vorfall vorüber
war und der Reis die Speiseröhre passierte. Ein Abend, auf den sie sich gefreut hatte,
wurde zum Alptraum.
Krampfartige Schmerzen und Angst zu ersticken
Die Schluckbeschwerden blieben und wurden häufiger. Die junge Frau versuchte alles, um
das Problem zu kompensieren: Langsames Essen, sorgfältiges Kauen, bestimmte Lebensmittel
wie Reis nur noch mit viel Soße und reichlichem Trinken zu den Mahlzeiten. Wenn sie
gemeinsam mit Freunden oder Bekannten aß, wurde sie oft gefragt, warum sie so oft das
Gesicht verziehe. „Das waren Momente, in denen die Schluckbeschwerden stark waren und
ich krampfartige Schmerzen hatte“, erklärt Jasmin.
Doch ihre Strategien während des Essens halfen nicht. Immer häufiger blieb die Nahrung
im Hals stecken und Jasmin bekam panische Angst, weil sie keine Luft mehr bekam. Vor
allem Reis, Nudeln, Brot und andere Backwaren konnte Jasmin kaum mehr zu sich nehmen.
Eine Untersuchung schafft Klarheit
Jasmin begann im Internet nach Antworten zu suchen. Das schürte ihre Ängste und führte
schließlich dazu, dass Jasmin einen Arzt aufsuchte. Eine Magenspiegelung wurde vorgenommen,
in der die Speiseröhre bis auf einige weißliche Ablagerungen zunächst weitgehend
unauffällig aussah. In der Untersuchung der entnommenen Gewebeproben zeigte
sich jedoch eine ausgeprägte Entzündung und es wurde die Diagnose einer „eosinophilen
Ösophagitis“, kurz EoE, gestellt. Der Arzt verordnete Jasmin ein Medikament, das sie zwölf
Wochen lang einnehmen sollte. Die Schluckbeschwerden bildeten sich rasch zurück und
schon bald konnte die Mutter von zwei kleinen Kindern wieder ganz normal essen.
Die Beschwerden kommen zurück
Nach dem Absetzen des Medikaments war jedoch schnell alles wieder beim Alten. „Mein
Arzt wollte mir das Medikament allerdings nicht weiter verordnen, weil in der Kontrolluntersuchung
zuvor die Magenspiegelung keinen krankhaften Befund mehr gezeigt hatte. Er
motivierte mich vielmehr, eine Auslassdiät zu machen“, so Jasmin. Das aber war ihr durch
ihren unregelmäßigen Tagesrhythmus und die Doppelbelastung als Mutter und Krankenschwester
nicht möglich. Wenn die Schluckbeschwerden besonders stark waren, suchte
sie das WC auf, um den steckengebliebenen Nahrungsbissen zu erbrechen.
Unterstützung durch andere Betroffene
Unterstützung fand sie in einer WhatsApp-Gruppe zur EoE und in anderen sozialen Medien.
In den Gruppen wurden Online-Informationsabende mit EoE-Expert*innen organisiert. „Das
war sehr hilfreich“, sagt Jasmin. In den Gruppen wurde sie von anderen Betroffenen ermuntert,
sich mit den Schluckstörungen nicht abzufinden. Daher erkundigte sich Jasmin
bei ihrem Arbeitgeber nach einem niedergelassenen Gastroenterologen, um eine Zweitmeinung
einzuholen.
Der Gastroenterologe bestätigte die Diagnose EoE und verordnete ihr das Medikament,
das ihr so gut geholfen hatte, zur langfristigen Erhaltungstherapie. Jasmin: „Wenige Tage
später war der Spuk wieder vorbei. Ich nehme das Medikament seither regelmäßig und
kann wieder ganz normal essen. Das ist für mich und auch für meine Familie ein wichtiges
Plus an Lebensqualität!“, berichtet Jasmin abschließend. Anderen Betroffenen rät die
junge Frau, keinesfalls aufzugeben, die Beschwerden ernst zu nehmen, da sie langfristig
zu massiven Veränderungen an der Speiseröhre führen können, sich umfassend über das
Krankheitsbild zu informieren und im Gespräch mit Ärztinnen und Ärzten selbstbewusst
auf eine effektive Therapie zu bestehen.
Informieren Sie sich weiter unter
www.schluckbeschwerden.de
4
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Eine Laune der Natur,
die alles verändert
Emily (19) leidet am Alagille-Syndrom. Im Interview erzählt
uns ihre Mutter, Deyna Dost (44), Emilys Geschichte, die selbst für
eine seltene Erkrankung außergewöhnlich selten ist.
Text Doreen Brumme
studiolh
Deyna, Ihre Tochter leidet am seltenen Alagille-
Syndrom. Wann fiel Ihnen das erste Mal auf,
dass mit Emily etwas nicht stimmt?
Als ich im siebten Monat mit Emily schwanger war, bekam
ich plötzlich vorzeitige Wehen. Und in mir machte
sich das Gefühl breit, dass irgendetwas nicht in Ordnung
ist. Als Emily in der 37. Schwangerschaftswoche per
Kaiserschnitt geholt wurde, wirkte sie ganz normal. Weil
sie zu schwach war zum Stillen und auch durch Flaschennahrung
nicht genug zunahm, wurde sie durch
eine Sonde ernährt. Die Ärztinnen und Ärzte entdeckten
zudem ein unklares Herzgeräusch, beruhigten mich
jedoch damit, dass das bei Neugeborenen nicht ungewöhnlich
sei. Als Emily eine Gelbsucht entwickelte, hieß
es wieder: alles normal. Die Neugeborenengelbsucht
verging, kam allerdings nach zwei Wochen wieder. Das
beunruhigte mich. Unser Kinderarzt schickte uns für
einen Lebercheck zu Spezialisten, da auch der Stuhl des
Babys auffallend hell war.
Wie kam es zur Diagnose?
Wir hatten Riesenglück: In der Uniklinik trafen wir auf
eine Ärztin, die zum Alagille-Syndrom forschte. Nachdem
sie Emilys Untersuchungsergebnisse gelesen und
sich mein Baby angeschaut hatte, äußerte sie ihren Verdacht.
Emily hatte viele der für die seltene Erkrankung
typischen Symptome: eine hohe Stirn, weit auseinanderstehende
Augen, einen Herzfehler. Der Gentest bestätigte
den Verdacht. Wobei Emily ihr Alagille-Syndrom nicht
geerbt, sondern spontan entwickelt hatte – eine Laune
der Natur, die alles veränderte.
Was macht Emilys Geschichte außergewöhnlich?
Emilys Leberwerte waren nicht die besten, lagen aber im
Normbereich. Man schickte uns mit dem Rat nach Hause,
Emily nicht zu fett zu ernähren. Ansonsten gab es keine
Einschränkungen. Sie wirkte gesund, war nur etwas blass.
Mit sechs Monaten fing mein kleines Mädchen plötzlich
an, sich am ganzen Körper zu kratzen. Zu sehen war
nichts, doch der Juckreiz muss unerträglich gewesen sein.
Sie kratzte sich rund um die Uhr. An Schlaf war nicht zu
denken. Unsere Ärztinnen und Ärtze hier konnten nichts
für Emily tun. Schließlich landeten wir in der Uniklinik
in Hamburg und standen schnell vor der Entscheidung
zwischen Leben und Tod: Emily brauchte eine neue
Leber. Die Transplantation fand statt, als sie 22 Monate
alt war. Sie hatte gerade laufen gelernt. Leider verlief
die OP schlecht, sodass Emily im Februar 2005 innerhalb
einer Woche eine neue Leber transplantiert werden
musste. Doch auch diese führte zu vielen Komplikationen.
Ich verbrachte Monate mit Emily im Krankenhaus
in Hamburg, habe mein Leben hintenangestellt, auch
meine Ehe zerbrach. Im August 2005 erhielt Emily zum
dritten Mal eine neue Leber. Die OP verlief zum Glück
wie im Bilderbuch. Mit dieser Leber lebt Emily bis heute.
Sie hat damit keinerlei Einschränkungen zu befürchten,
kann ganz normal leben, beruflich alles machen, Sport
treiben, alt werden.
Wie wirkt sich die Erkrankung auf Emilys Alltag
aus?
Emily musste nach dem langen Krankenhausaufenthalt
neu laufen lernen. Wegen der Medikamente, die sie seit
der Transplantation ununterbrochen nimmt, damit ihr
Körper die fremde Leber nicht abstößt, ist ihr Immunsystem
geschwächt. Sie war bis zu ihrem sechsten Geburtstag
immer wieder im Krankenhaus, weil sie jeden
Infekt mitnahm. Darunter litt ihr soziales Leben. Mit
zwölf Jahren verlor Emily plötzlich alle Haare am Körper
und diese wuchsen drei Jahre lang nicht nach. Niemand
konnte uns erklären, warum, geschweige denn etwas
dagegen tun. Eine Katastrophe für eine Pubertierende.
Emily konnte sich nicht mehr im Spiegel anschauen,
mied Menschen irgendwann ganz und stürzte in ein
Loch, in dem sie noch immer steckt. Sie wurde schwer
depressiv. Die Depression beeinträchtigt sie so sehr, dass
sie bis heute nicht in der Lage ist, ihr Leben auf eigene
Füße zu stellen. Emily würde gerne im medizinischen
Bereich arbeiten, um anderen Menschen in ähnlicher
Situation, wie sie sie erlebt, zu helfen. Doch für depressive
Menschen wie Emily, die große Probleme mit festen
Strukturen im Alltag haben, gibt es leider kaum Chancen
in unserem auf Leistung getrimmten System.
Suchen Sie sich
psychologische
Unterstützung
für Ihr krankes
Kind und für sich
selbst. Sie müssen
das nicht alleine
durchstehen, es
gibt professionelle
Hilfe!
Was möchten Sie anderen Eltern mit auf den Weg
geben, deren Kind die Diagnose Alagille-Syndrom
erhalten hat?
Oh, da habe ich gleich mehrere Punkte:
• 1
• 2
• 3
• 4
• 5
• 6
Fragen Sie den Ärztinnen und Ärzten
ein Loch in den Bauch und fordern Sie
sie auf, Ihnen alles verständlich zu
erklären, was Sie wissen wollen!
Scheuen Sie sich nicht, eine zweite
medizinische Meinung einzuholen!
Wechseln Sie den Arzt, wenn Sie nicht
ernst genommen werden oder dieser
kein Spezialist für Ihren Fall ist.
Gehen Sie in den Austausch mit
anderen betroffenen Eltern und
teilen Sie Ihr Schicksal. Gemeinsam
erträgt es sich leichter.
Suchen Sie sich psychologische
Unterstützung für Ihr krankes Kind
und für sich selbst. Sie müssen das
nicht allein durchstehen, es gibt
professionelle Hilfe!
Fordern Sie die Vereinbarkeit von
Pflege eines kranken Kindes und
Beruf ein.
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 5
Lebererkrankungen im Kindesalter
Die Leber ist das größte innere Organ des menschlichen Körpers.
Sie besteht aus mehr als 300 Milliarden Zellen, die zusammen jede
Menge Aufgaben lösen müssen.
Die Leber:
• Prüft alle Nahrungsbestandteile und wandelt
sie in brauchbare Substanzen um
• Filtert Schadstoffe und Gifte
• Stellt Proteine her, mit deren Hilfe Kinder
wachsen
• Produziert Vitamin K, das die Blutgerinnung
ermöglicht
• Speichert Zucker, Kupfer, Eisen und Vitamine
und gibt diese Stoffe bei Bedarf ab
• Kontrolliert den Flüssigkeits- und Hormonspiegel
Im Gegensatz zu den anderen inneren Organen
ist die Leber in der Lage, sich zu regenerieren. Sie
übernimmt selbst mit einem kleinen Anteil an gesunden
Zellen ihre Aufgaben über lange Zeit. Die
Leber wächst sogar wieder nach, wenn ein Teil operativ
entfernt wurde. Voraussetzung ist natürlich,
dass die verbliebenen Leberzellen gesund sind. Bei
so vielen Funktionen der Leber ist es nicht verwunderlich,
dass es mehr als 100 verschiedene Lebererkrankungen
bei Kindern gibt.
Die großen Gruppen der Lebererkrankungen sind:
• entzündliche Lebererkrankungen
• Stoffwechselerkrankungen
• angeborene Fehlanlagen der Gallenwege und
andere Gallenwegserkrankungen
Unbehandelt ist den meisten dieser Erkrankungen
langfristig die Entwicklung einer Leberzirrhose
gemeinsam, eines narbigen Umbaus der Leber mit
Verlust an funktionierenden Leberzellen.
So unterschiedlich die Ursache einer Lebererkrankung
sein kann, so unterschiedlich sind auch die
möglichen Behandlungen. In jedem Fall ist die Betreuung
durch spezialisierte Ärzte oder Kliniken
erforderlich, denn durch die Vielfältigkeit der
Lebererkrankungen und ihre insgesamt geringe
Häufigkeit können nur hier die nötigen Erfahrungen
gesammelt und die geeignete Therapie gefunden
werden.
Quelle: Verein Leberkrankes Kind e. V.
DER VEREIN
LEBERKRANKES KIND E. V.
Seit 1987 gibt es den Verein Leberkrankes Kind e. V. Gegründet
wurde er von Eltern leberkranker Kinder, die das Bedürfnis hatten,
sich mit anderen betroffenen Familien auszutauschen – vor der
Zeit von Internet und Social Media. Wenn ein Kind schwer erkrankt,
steht die gesamte Familie vor großen Herausforderungen im Alltag.
Hier unterstützt der Verein durch Einzelfallhilfen, Informationen,
Beratung und sein großes Netzwerk.
Einmal im Jahr veranstaltet der Verein einen Familientag an einem
der Kinder-Leberzentren und gibt eine Mitgliederzeitschrift heraus.
Zudem lädt er seine Mitglieder zu Regionalgruppen-Treffen ein und
vernetzt so betroffene Familien in der Nähe ihres Wohnortes.
Heute hat der Verein rund 300 Mitglieder. Der Mitgliedsbeitrag
von 65 Euro pro Familie und Jahr kommt direkt den Kinderkliniken
zugute, die auf Lebererkrankungen bei Kindern spezialisiert sind.
Auch Fördermitgliedschaften für Privatpersonen und Unternehmen
sind möglich (ab 40 Euro pro Jahr).
Spendenkonto
Commerzbank Rastatt
IBAN: DE43 660 400 180 250 108 800
BIC: COBADEFFXXX
Weitere Informationen unter:
www.leberkrankes-kind.de
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Albireo Pharma entstanden.
Gallenstau: Mögliche Ursache
kann eine seltene Erkrankung sein
Wenn Neugeborene durch eine gelbe Hautfärbung
auffallen, steckt manchmal eine seltene
Erkrankung wie das Alagille-Syndrom dahinter.
Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, um den
Leidensdruck zu verringern. Gentests können
hierbei Licht ins Dunkel bringen.
Text Julia Brandt
“Eine gesunde Hautfarbe haben“ – dieser geflügelte
Begriff hat tatsächlich einen wahren Hintergrund.
Denn oft gibt eine ungewöhnliche Färbung der Haut
Hinweise auf eine mögliche Erkrankung.
So ist es zum Beispiel bei Neugeborenen, die durch
eine gelblich gefärbte Haut auffallen. Eine solche
Neugeborenengelbsucht ist in der Regel harmlos.
Dauert sie länger als zwei Wochen an, werden Ärzte
jedoch hellhörig. Möglicherweise leiden die betroffenen
Babys unter einem angeborenen Gallenstau.
Hierbei fließt die Gallenflüssigkeit nicht richtig,
sondern staut sich in der Leber oder in den Gallengängen.
Dies kann die Leberzellen schädigen – und
viele weitere Organe und Gewebe beeinträchtigen.
Häufige Ursachen einer solchen Gallenstauung sind
Infektionen oder Stoffwechselerkrankungen. Sie kann
bei Neugeborenen aber auch als Folge des sogenannten
Alagille-Syndroms (kurz: ALGS) auftreten.
Die Ursache dieser Krankheit liegt in den Genen: Bei den
Betroffenen ist eine bestimmte Erbinformation so verändert,
dass die Gallengänge in der Leber nicht richtig
gebildet werden.
ALGS ist gekennzeichnet durch unterschiedlichste
Symptome
Das Alagille-Syndrom ist eine angeborene Erkrankung,
die sehr selten auftritt. Schätzungen zufolge kommt in
Deutschland nur etwa eines von 50.000 Neugeborenen
damit zur Welt. Alagille-Patienten, bei denen die Leber
betroffen ist, zeigen Symptome wie Gelbsucht, Wachstumsverzögerungen
sowie Cholesterinablagerungen in
der Haut. Viele leiden zudem unter starkem Juckreiz –
was die Lebensqualität stark beeinträchtigt. Die betroffenen
Kinder und Säuglinge sind durch den ständigen
Juckreiz leicht reizbar, unruhig und schlafen kaum. Eine
Belastung für Eltern und Kinder.
Auch körperliche Merkmale deuten auf das Alagille-
Syndrom hin: Viele Patienten fallen durch Kleinwuchs
sowie charakteristische Gesichtszüge auf: eine große
Stirn sowie weit auseinander- und tiefliegende Augen.
Das typische Aussehen, ist für die Ärzte ein Hinweis,
dass eine Lebererkrankung möglicherweise durch das
Alagille-Syndrom verursacht wird. In den meisten Fällen
verschafft ein Gentest Klarheit, ob diese Erbkrankheit
vorliegt. Da es sich bei dem ALGS um eine seltene Erkrankung
handelt, vergehen in manchen Fällen Monate
oder Jahre, bis die korrekte Diagnose gestellt wird.
Behandlungsoptionen des Alagille Syndroms
Die Symptome des Alagille-Syndroms sind individuell
verschieden ausgeprägt. Bei einigen Patienten schränken
sie den Alltag kaum ein, andere verspüren hingegen
einen starken Leidensdruck. So unterschiedlich wie der
Verlauf der Erkrankung ist auch ihre Behandlung. Viele
Patienten bekommen Medikamente, die Symptome wie
Juckreiz lindern. Vitaminpräparate oder eine spezielle
Ernährung können außerdem dazu beitragen, ALGS-
Folgen abzumildern. Zusätzlich gibt es spezielle Medikamente,
die den Gallefluss verbessern – das schützt
die Leber vor schädigenden Stoffen.
Ist die Leber stark angegriffen oder lassen sich Symptome
wie Juckreiz nicht durch die Behandlung lindern,
kommt möglicherweise eine Lebertransplantation in
Betracht. Hierbei bekommen die kleinen Patienten entweder
die Leber eines Fremden oder einen Teil der Leber
eines Elternteils. Im Anschluss an die Operation müssen
sie lebenslang Medikamente einnehmen, die ihr Immunsystem
unterdrücken, sonst würde ihr Körper das fremde
Organ abstoßen. Die Chancen und Risiken eines solchen
Eingriffs werden daher immer im Einzelfall sorgfältig
abgewogen.
FOTO: SHUTTERSTOCK_2023469570
FREIGABENUMMER: DE-BV-23-00002 | 1/26/2024
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Wissen bündeln, Situation
für Betroffene verbessern
Kai Pilgermann, Patientenvertreter
der Deutschen Sarkom-Stiftung,
ist selbst von einem Gastrointestinalen
Stromatumor (GIST) betroffen. Er war
sehr jung, als er die Diagnose bekam.
Im Interview berichtet Kai Pilgermann
über seinen eigenen Weg mit der Erkrankung
und die Stiftung, die Patienten,
Ärzte, Forscher, Angehörige und
Vertreter des Gesundheitswesens
zusammenführt, um die Situation für
Betroffene zu verbessern.
Text Miriam Rauh
FOTO: PRIVAT
Herr Pilgermann, wann bekamen Sie die Diagnose
„Gastrointestinaler Stromatumor“?
Ich war damals erst 27 Jahre alt. Das ist ungewöhnlich,
Betroffene haben meist ein deutlich höheres
Lebensalter. Es war ein Zufallsbefund, der Tumor
wurde im Rahmen einer Blinddarm-OP entdeckt. Die
Operateure haben allerdings nicht mehr geschafft, eine
Gewebeprobe zu entnehmen oder ihn gleich zu entfernen,
weswegen ich für eine weitere Operation in
die Klinik musste. Im Nachgang wurde bei der pathologischen
Untersuchung des entnommenen Gewebes
festgestellt, dass es sich tatsächlich um GIST handelt.
Warum dauert es bei GIST in vielen Fällen so lange
bis zur Diagnose?
Die meisten Gastrointestinalen Stromatumoren wachsen
außerhalb eines Organs oder am Dünndarm und
machen im Bauchraum nach außen hin in der Regel
zunächst wenig Beschwerden. Wenn Beschwerden auftreten,
sind die Tumore häufig schon relativ groß. Hat
man den Tumor aber entdeckt, geht die Diagnose
an sich recht schnell.
Wenn Sie zurückblicken – gab es bei Ihnen Anzeichen
für die Erkrankung? Was berichten andere
Betroffene?
Im Normalfall gehen Betroffene mit Beschwerden des
Verdauungstrakts zum Arzt, aber diese sind diffus und
weisen nicht sofort auf GIST hin. Beschwerden beim
Stuhlgang beispielsweise, Völlegefühl, eine gewisse
Müdigkeit – das alles kann auch andere Ursachen haben.
Sehr eindeutige Symptome gibt es nicht.
Wie ging es nach der Diagnose für Sie weiter? Wie
wurde GIST bei Ihnen therapiert?
Meine Onkologin kannte sich gut mit dem Thema
aus und wusste bereits von dem neuen Medikament,
das damals erst seit zwei Jahren eingeführt war. Sie
hat mich auch direkt damit behandelt. Das war großes
Glück. Insgesamt rate ich Betroffenen, sich wenn mög-
lich in einem auf Sarkome spezialisierten Zentrum
behandeln zu lassen. Als meine Diagnose gestellt wurde,
gab es solche Zentren noch nicht – heute gibt es
sie an mehreren Orten in Deutschland.
Die Erkrankung hat Sie zur Deutschen Sarkom-
Stiftung gebracht. Was sind Ihre Aufgaben als Patientenvertreter?
Es gab eine Vorläuferorganisation, das Lebenshaus, eine
reine Patientenorganisation, in der ich mich bereits engagierte.
Wir haben mit dem Lebenshaus schon einiges
erreicht, wurden auch von Experten unterstützt, diese
waren aber nie Teil der Organisation. Das wollten wir
ändern und haben beschlossen, gemeinsam mit Experten
die Deutsche Sarkom-Stiftung aufzubauen, um sie
fest zu integrieren. Die Deutsche Sarkom-Stiftung ist ein
Zusammenschluss aus Ärzten, Zentren und Patienten,
um die Diagnose-Situation und die Behandlungsqualität
für GIST und Sarkome in Deutschland zu verbessern. Für
Betroffene bieten wir auch Webinare an, derzeit online,
um neueste Erkenntnisse zu GIST zu präsentieren und
einen Rahmen zum Austausch mit Ärzten zu schaffen.
Was empfehlen Sie anderen Betroffenen im Umgang
mit der Erkrankung?
Grundsätzlich ist es sehr wichtig, sich um die Erkrankung
zu kümmern. Es ist gut, sich zu informieren und
Hintergrundwissen anzueignen. Manchmal kann es helfen,
nicht alleine zu Terminen zu gehen, sondern einen
Angehörigen, einen guten Freund oder eine Freundin
mitzunehmen. Und es schadet nicht, im Zweifelsfall
eine Zweitmeinung einzuholen. Wenn man nicht in der
Nähe eines spezialisierten Sarkom-Zentrums wohnt,
kann man vielleicht den Schwerpunkt der Behandlung
bei einem niedergelassenen Onkologen oder einer Onkologin
durchführen lassen, sich für besondere Fragestellungen
aber an ein Sarkom-Zentrum wenden. Bei der
Deutschen Sarkom-Stiftung erhalten Betroffene viele
wertvolle Tipps, finden neueste Studienergebnisse und
viele Informationen. Sie können dort die Zentren und
auch niedergelassene Onkologen finden, die sich gut mit
der Erkrankung auskennen.
Grundsätzlich ist es
sehr wichtig, sich
um die Erkrankung
zu kümmern. Es
ist gut, sich zu
informieren und
Hintergrundwissen
anzueignen.
Weiterführende Informationen
Die Deutsche Sarkom-Stiftung ist eine gemeinsame
Organisation von Patienten und Experten. Die Stiftung setzt
sich dafür ein, die Situation für Sarkom-Patienten in
Deutschland zu verbessern. Dafür engagiert sie sich in
verschiedenen Bereichen: Information, Forschung, Fortbildung,
Versorgungsstrukturen inkl. Etablierung von spezialisierten
Sarkom-Zentren, Diagnose- und Behandlungsqualität wie auch
Patienteninformation und Interessenvertretung.
Weitere Informationen unter:
www.sarkome.de
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 7
GIST: Immer bessere Prognose
Gastrointestinale Stromatumoren (GIST) sind sehr seltene
Weichteilsarkome, die im Magen-Darm-Trakt entstehen. In Deutschland
erkranken pro Jahr ein bis zwei von 100.000 Menschen, die
meisten sind bei Diagnosestellung 60 Jahre alt oder älter.
PD Dr. med. Reichardt leitet das Sarkomzentrum Berlin-Buch und
erklärt, was die Herausforderungen bei der Diagnose sind und wie
Betroffene heute behandelt werden können.
Text Miriam Rauh
PD Dr. med. Peter Reichardt
Chefarzt der Klinik für Onkologie und
Palliativmedizin am Helios Klinikum
Berlin-Buch und Leiter des Sarkomzentrums
Berlin-Buch
Herr Dr. Reichardt, was sind die
Herausforderungen bei der
Diagnose von GIST und im
Verlauf der Erkrankung?
Die Beschwerden sind in der Regel eher
unspezifisch. Aus diesem Grund wird ein
Gastrointestinaler Stromatumor oft zufällig
entdeckt, bspw. im Rahmen einer
Magenspiegelung, Ultraschalluntersuchung
oder Computertomographie. Wichtig ist,
dass neben der pathologischen Diagnose
auch eine Mutationsanalyse gemacht
wird, da die genaue Kenntnis der zugrundeliegenden
Mutationen für die Therapieplanung
entscheidend ist; zudem hat sie
Einfluss auf die Prognose. Die Feindiagnostik
sollte in einem erfahrenen Referenzzentrum
durchgeführt werden, um
Inkorrektheiten auszuschließen.
Wie ist die Prognose?
Man muss hier zwischen lokalisierter
Erkrankung und fortgeschrittener Erkrankung
unterscheiden. Die Prognose des
fortgeschrittenen, metastasierten GIST
hat sich in den letzten Jahren durch
zunehmende therapeutische Optionen
kontinuierlich verbessert; seit ca. einem
Jahr steht mit Ripretinib eine Viertlinientherapie
zur Verfügung. Mittlerweile können
wir bei einer metastasierten Erkrankung
eine mittlere Lebenserwartung von sechs
oder sieben Jahren erwarten.
Bei einer lokalisierten Erkrankung, die
operativ behandelt wurde, können wir
recht genau vorhersagen, wie groß das
Risiko eines Patienten für Metastasen bzw.
ein Rezidiv ist. Hiervon abhängig ist die
Indikation einer vorbeugenden, adjuvanten
Therapie. Als Richtwert gilt ein Rezidivrisiko
in der Größenordnung über 50
Prozent, sofern der Tumor eine Imatinibsensitive
Mutation aufweist.
Die Prognose des
fortgeschrittenen,
metastasierten GIST hat
sich in den letzten Jahren
durch zunehmende
therapeutische Optionen
kontinuierlich verbessert.
Welche Therapieoptionen gibt es derzeit,
um GIST zu behandeln, und wie ist deren
Stellenwert?
Imatinib stellt nach wie vor den Standard
in der Erstlinientherapie und in der adju-
vanten Therapie dar. Bei einer Imatinib-
Intoleranz oder einem Krankheitsprogress
unter Imatinib ist die Zweitlinientherapie
Sunitinib vorgesehen. Wenn auch diese
nicht mehr wirkt, kommen Regorafenib
und schließlich Ripretinib in der Drittund
Viertlinie zum Einsatz. Für die sehr
seltene D842V-Mutation steht mit Avapritinib
seit einiger Zeit erstmals eine wirksame
Therapie zur Verfügung.
Bei der Therapie spielen für Betroffene
in den verschiedenen Phasen der
Erkrankung neben Wirksamkeit auch
Verträglichkeit und Lebensqualität
eine Rolle. Wie sieht es bei den Behandlungsoptionen
gerade in späteren Stadien
aus?
Die für die Therapie des fortgeschrittenen
GIST etablierten Medikamente sind
unterschiedlich gut verträglich, was angesichts
der häufig langfristigen Einnahme
von besonderer Bedeutung ist. Imatinib,
Standard in der Erstlinientherapie, ist in
der Regel gut verträglich. Sunitinib ist
etwas schlechter verträglich als Imatinib,
was sich in Durchfällen, Abgeschlagenheit,
Müdigkeit oder Hautreizung an Händen
und Füßen bemerkbar machen kann,
auch Blutdruck und Schilddrüsenfunktion
sollten überwacht werden. Regorafenib
ist vom Nebenwirkungsspektrum
dem Sunitinib ähnlich, mit einer häufig
ausgeprägteren Tendenz zu Nebenwirkungen;
eine individuelle Einstellung
ist bei diesen Medikamenten besonders
wichtig.
Das Medikament der Viertlinientherapie,
Ripretinib, ist wiederum in aller Regel
besser verträglich. Dies erhöht auch die
Lebensqualität der Patienten.
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8
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Leben mit PMF –
ein ganzheitlicher Ansatz
Unter Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) versteht man eine Gruppe von seltenen Erkrankungen des Knochenmarks,
pro Jahr erkranken in Deutschland ein bis zwei Menschen pro 100.000 Einwohner. Charakteristisch für diese Krankheitsbilder ist eine
gesteigerte Produktion von Blutzellen, was sich in einer Vielzahl von Symptomen äußern kann, die das Leben Betroffener zum Teil stark
beeinträchtigen.
Zu den MPN zählt auch die Primäre Myelofibrose (PMF), von der Stefanie Peheim betroffen ist. Sie erzählt uns von ihrem Weg zur
Diagnose und ihrem Leben mit dieser seltenen chronischen Erkrankung.
Text Miriam Rauh
Frau Peheim, Sie sind betroffen von der Primären
Myelofibrose. Können Sie uns erzählen,
wann erstmals Beschwerden aufgetreten
sind und wie diese aussahen?
Etwa ein bis zwei Jahre vor der Diagnose bemerkte ich
erste Beschwerden wie Taubheit in den Fingern, auch
Müdigkeit am Tag, besonders gegen Mittag. Ich habe
sehr viel Schlaf gebraucht, den brauche ich nach wie vor.
MPN sind von Mensch zu Mensch in der Ausprägung
sehr verschieden. Wann wurde die richtige Diagnose
gestellt?
Das war im Jahr 2020, ich war 26 Jahre alt. Ich hatte Blut
gespendet, im Anschluss erhielt ich eine Auswertung
meiner Blutwerte. Weil mein Thrombozytenwert erhöht
war, wurde mir geraten, ihn noch mal beim Hausarzt
kontrollieren zu lassen. Mein Hausarzt empfahl mich
dann weiter an eine Spezialistin, dort erhielt ich einen
Monat später die Diagnose.
Gab es direkt eine passende/individuelle Behandlungsoption
für Sie?
Mir wurde gut erklärt, was es mit der Erkrankung auf sich
hat, wie sie sich auf mein Leben auswirkt und welche
Möglichkeiten es gibt. Da ich keine großen Beschwerden
hatte und auch die Werte nicht dramatisch waren, habe
ich in Rücksprache mit meiner Ärztin anfangs keine
Medikamente genommen, sondern ging nur regelmäßig
zur Kontrolle. Erst mal abzuwarten, war für mich der
richtige Weg. Im Herbst 2022 haben sich die Werte etwas
verschlechtert und ich habe begonnen, Medikamente zu
nehmen. Die Einstellungsphase dauert mindestens drei
bis vier Monate, bei manchen durchaus auch länger. In
dieser Phase muss man sowohl die Blutwerte als auch
mögliche Nebenwirkungen monitoren. Erst nach dieser
Phase kann man beurteilen, wie der Körper die Medikamente
annimmt und welche Therapie die individuell
passende ist. In dieser Phase befinde ich mich.
FOTO: MELANIE PETERSEIL
Zudem wurde mir direkt zu Beginn meiner Therapie von
einer Studie berichtet, an der ich seitdem teilnehme. Vor
allem bei seltenen Krankheiten wie der PMF ist das sehr
wichtig, damit an den Medikamenten geforscht werden
kann und Betroffene direkt in das Forschungsgeschehen
mit einbezogen werden können.
Ich muss gut auf meinen
Körper aufpassen und
dafür sorgen, dass er
bekommt, was er braucht.
Was sind für Sie persönlich die größten Belastungen
und Herausforderungen, die mit der Erkrankung
einhergehen?
Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich realisierte, dass
ich eine Erkrankung habe, anfangs habe ich es verdrängt.
Erst im letzten Jahr wurde mir richtig bewusst,
dass ich auf meinen Körper aufpassen und gut dafür sorgen
muss, dass er bekommt, was er braucht.
Die Müdigkeit ist sehr präsent – auch wenig Energie kenne
ich sonst gar nicht von mir, ich habe immer viel unternommen.
Jetzt muss ich konsequent auf meinen Körper
hören und sehen, wo meine Grenzen sind. Grenzen zu
stecken und genau hinzusehen, was mir guttut, das ist
derzeit die größte Herausforderung für mich. Auch habe
ich häufig mit schweren Beinen zu kämpfen: Bei meiner
Tätigkeit als Konditorin merke ich das oft schon nach
zwei bis drei Stunden, da ich ja viel im Stehen arbeite.
Durch die medikamentöse Behandlung hat sich das aber
bereits gebessert.
Wie wirkt sich die Erkrankung auf Ihr Berufsleben
aus?
Die Diagnose hat mich in meiner Berufswahl einmal
mehr bestätigt. Ich wollte etwas tun, das mir zu 100 Prozent
Freude macht, und bin seit knapp zwei Jahren als
Konditorin selbstständig. Meine Arbeitsstätte ist in der
Nähe, ich bekomme auch sehr viel Unterstützung durch
meine Familie. Anders würde es nicht funktionieren.
Wie gehen Sie mit der Last Ihrer Erkrankung um,
und was hilft Ihnen im Umgang mit der PMF?
Abgesehen davon, dass es mir hilft, meine Zeit und
Energie gut einzuteilen, schätze ich den Austausch mit
anderen Betroffenen sehr. Bis zur Diagnose war ich nie
wirklich krank, ich musste auch nie Medikamente nehmen.
Durch den Austausch bekomme ich einen besseren
Einblick in den Alltag mit der Erkrankung. Wie geht
es anderen Betroffenen damit, was machen sie? Man
unterstützt sich gegenseitig sehr.
Eine solche Erkrankung betrifft auch indirekt die
Angehörigen. Wie geht Ihr Umfeld mit Ihrer Erkrankung
um?
Insgesamt sehr gut, ich bekomme viel Unterstützung.
Bei mir ist die Krankheit aber auch derzeit kein großes
Thema, ich habe wenig Beschwerden.
Welche Rolle spielt für Sie die Vernetzung in der
Selbsthilfegruppe?
Diese Möglichkeit empfinde ich als sehr wertvoll. Die
Krankheit ist noch relativ wenig erforscht, es gibt kein
Patentrezept für den Umgang, vieles muss individuell
betrachtet und angepasst werden. Manchmal haben
andere Betroffene ergänzend zu Ärzten wertvolle Tipps,
einfach aus der Alltagserfahrung heraus – z. B. wann
die beste Tageszeit für die Einnahme der Medikamente
ist. Meine Ärztin hat mich auf eine Selbsthilfegruppe
in Österreich aufmerksam gemacht, dort bin
ich Mitglied. Durch eigene Recherche habe ich auch
Gruppen auf Facebook gefunden, in denen ich aktiv bin.
Was haben Sie aus Ihrer Erfahrung mit der Krankheit
gelernt, was würden Sie an andere Betroffene
weitergeben?
Es ist wichtig, sich nicht einschüchtern zu lassen. Man
sollte nicht ängstlich an das Thema herangehen, sondern
sich an die Situation anpassen und sie ins Leben integrieren.
Ich versuche, die Krankheit ganzheitlich zu sehen.
Nicht nur Medikamente können helfen, eine Erkrankung
hat auch eine psychologische Komponente. Diesen
ganzheitlichen Ansatz würde ich sehr empfehlen.
FOTO: ELISABETH PEHEIM
MPN-NETZWERK –
EIN NETZWERK, DAS TRÄGT
Das MPN-Netzwerk e. V. ist eine Selbsthilfeinitiative für
Menschen mit Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) und
ihre Angehörigen. Wir stellen fundierte, allgemein verständliche
Informationen zu MPN-Erkrankungen zur Verfügung und
bieten Patient:innen und deren Angehörigen die Möglichkeit, sich
miteinander auszutauschen und zu vernetzen. Zudem arbeiten
wir eng mit einschlägigen Expert:innen für die MPN-Erkrankungen
zusammen, um die Forschung weiter voranzutreiben.
Weitere Informationen finden Sie unter
www.mpn-netzwerk.de
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 9
„Patienten tragen heute entscheidend
zu unserem Gesundheitswesen bei.“
Die Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) sind eine Gruppe von seltenen Erkrankungen des Knochenmarkes,
zu denen auch die Polycythaemia Vera (PV) gehört. Wir sprachen mit Werner Zinkand über die
Last der Erkrankung und die wichtige Rolle der Patientenselbsthilfe.
Text
Hanna Sinnecker
Werner Zinkand
Vorsitzender der
internationalen
MPN-Advocates
Weitere
Informationen
finden Sie unter
www.mpnadvocates.net
Herr Zinkand, Sie sind betroffen von der
seltenen Erkrankung Polycythaemia
Vera. Wie hat sich die Erkrankung bemerkbar
gemacht und wann haben Sie
Ihre Diagnose erhalten?
Im Jahr 2000 war ich zum Gesundheitscheck bei
meiner Hausärztin, da war ich 47 Jahre alt. Meine Ärztin
hatte zu hohe Thrombozyten festgestellt und mir
ASS (einen Blutverdünner) verschrieben, das habe
ich einige Jahre genommen. Aber es kamen mit der
Zeit Sehstörungen dazu: ich habe verschwommen
oder Doppelbilder gesehen, nach einer Minute war
das meist wieder vorbei. Die Ärztin konnte das nicht
einordnen. Schrecklich war auch ein extremer, stechender
Juckreiz, besonders nach Wasserkontakt
nach dem Duschen. Juckreiz ist ein deutliches Symptom
der PV, der die Patienten verrückt machen kann.
Aber mein Dermatologe kam nicht auf PV. Die richtige
Diagnose kam durch Zufall: 2011, zehn Jahre nach den
ersten Beschwerden, bin ich auf die Schulter gestürzt,
es wurde ein MRT gemacht. Dem Radiologe fiel mein
Knochenmark auf, es war marmoriert. Im Knochenmark
bilden sich die Blutzellen. Meine Hausärztin hat
mich dann zum Hämatologen überwiesen, der die
Diagnose Polycythaemia Vera gestellt hat.
Was sind für Sie als Betroffener die größten
Herausforderungen und wie wirkt sich die
Erkrankung auf Ihr Leben aus?
Wegen des Juckreizes kann man nachts nicht schlafen
und ist tagsüber kaputt. Die Diagnose selbst ist ein
Schock: man hat über Nacht, für den Rest des Lebens,
eine unbekannte chronische Krankheit. Wenn man
in der Hämatologie und Onkologie behandelt wird,
bekommt man Angst, wird mit schlimmen Schicksalen
konfrontiert und fragt sich: wie geht es jetzt
weiter? Habe ich jetzt Krebs? Mit der Antwort tun
sich die Ärzte schwer, denn ja, es handelt sich um
eine chronische Blutkrebserkrankung. Chronisch heißt
aber, dass sie in den meisten Fällen langsam voranschreitet.
Die Zellen des Blutes vermehren sich
unkontrolliert, unbehandelt haben wir ein hohes
Thrombose- oder Embolierisiko.
Patienten müssen
gehört werden.
Mittlerweile gibt es Medikamente, mit denen die Beschwerden
gelindert werden können. Ein klassisches
Medikament, eine leichte Chemotherapie, ist seit Jahrzehnten
auf dem Markt. 2012 kam ein sogenannter
Inhibitor dazu, der später eingesetzt wird, wenn man
die Erstlinientherapie nicht verträgt oder sie nicht
mehr reicht. Aktuell werden mehr Medikamente zugelassen,
alle wirken verschieden. Ein erfahrener Hämatologe
kann unsere Beschwerden meist gut kontrollieren
– das ist eine wichtige Information für
Betroffene.
Sie sind sehr engagiert in der nationalen und
internationalen MPN-Patientenselbsthilfe.
Welche Rolle spielt diese aus Ihrer Sicht, wenn es
um die Verbesserung der Lebensqualität Betroffener
geht?
Wissen ist die beste Medizin. Die Selbsthilfe hilft Betroffenen,
sich mit ihrer Erkrankung vertraut zu
machen. Das kann ein Stück weit den Schrecken
nehmen. Man fühlt sich zu Beginn sehr allein,
besonders mit einer seltenen Erkrankung wie der
PV. Ich hatte bald einen anderen Betroffenen kennengelernt,
der eine kleine Selbsthilfegruppe gegründet
hat, wir waren anfangs zu dritt. Der Erfahrungsaustausch
war sehr wichtig für mich, deshalb
engagierte ich mich neun Jahre lang im deutschen
MPN-Netzwerk. Seit zwei Jahren bin ich Vorstand
der internationalen MPN-Advocates, das ermöglicht
mir eine größere Perspektive. Gemeinsam kann man
viele positive Entwicklungen vorantreiben! Erfahrene
Patient:innen sind heute gefragt, mehr denn je.
Für Betroffene, die sich engagieren wollen, gibt es
Schulungen. Wir arbeiten in nationalen und internationalen
Gremien mit, unsere Erfahrungen helfen
auch Pharmafirmen bei der Entwicklung neuer
Medikamente. Heute tragen Patienten entscheidend
zu unserem Gesundheitswesen bei.
Was ist bezüglich der Versorgung Betroffener
wichtig, damit diese ihren Alltag bestmöglich
meistern können?
Man muss zurückfinden ins Leben und lernen,
die Krankheit als Teil des Lebens anzunehmen.
Aber sie sollte in den Hintergrund treten. Neben
der Medizin spielt auch die psychologische Betreuung
eine große Rolle. Sie kann helfen, die
Krankheit zu akzeptieren, ohne dass man die
Hoheit über das eigene Leben verliert. Außerdem
müssen wir Patienten gehört werden. Ärzte
achten oft auf andere Aspekte als wir. Eine Umfrage
ergab, dass Ärzte zuerst auf das Blutbild
schauen, Patienten ist aber die Lebensqualität
wichtiger. Und die korreliert nicht unbedingt mit
guten Blutwerten.
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Leben mit MPN –
Umfassende Hilfe für Betroffene
Das forschende Pharmaunternehmen Novartis denkt Medizin
neu, um besonders auch Menschen mit seltenen Erkrankungen
mit innovativen Therapien zu mehr Lebensqualität zu verhelfen
und ihnen mit umfangreichen Unterstützungs- und Informationsangeboten
zur Seite zu stehen.
FOTO: NOVARTIS PHARMA GMBH
Speziell für Menschen, die an einer Myeloproliferativen Neoplasie (MPN) wie der Myelofibrose,
der Polycythaemia Vera oder der Chronischen Lymphatischen Leukämie leiden,
hat Novartis für Patient:innen und deren Angehörige umfangreiche Informationsinitiativen
ins Leben gerufen, die Betroffenen und deren Angehörigen wissenschaftlich fundiertes
Wissen zur Erkrankung und zum Umgang damit zur Verfügung stellen.
Symptome erkennen – und richtig in Zusammenhang bringen
Da die verschiedenen Symptome der MPN sehr vielschichtig sind und mit Fortschreiten
der Erkrankung stärker werden, sind fundierte Informationen zu den möglichen Beschwerden
für Patient:innen und deren Angehörige sehr wichtig. Das macht das Beispiel der Polycythaemia
Vera deutlich: denn Beschwerden wie chronische Müdigkeit, Schmerzen im linken
Oberbauch, verstärktes nächtliches Schwitzen, Juckreiz besonders nach Kontakt mit
Wasser und Appetitlosigkeit lassen oft nicht direkt an eine schwere Erkrankung denken.
Gerade Frauen denken oftmals eher an die Wechseljahre und nicht an eine seltene Bluterkrankung.
Auch Seh- und Konzentrationsstörungen, Ohrensausen, trockene Haut werden
eher auf das Alter zurückgeführt und nicht in Kombination betrachtet. Die Folge: der Arztbesuch
bleibt aus, die PV bleibt unentdeckt und somit auch unbehandelt, schwere Komplikationen
können auftreten.
Zunehmende Beschwerden ernst nehmen
Aber auch wenn die Diagnose bereits gestellt wurde, sollten Betroffene die Symptome im
Blick behalten. Gerade wenn die Symptomlast zunimmt oder Nebenwirkungen auftreten,
sollten Betroffene das Gespräch mit dem Behandlungsteam suchen. Manche Begleiterkrankungen
oder Komplikationen können für Betroffene im schlimmsten Fall lebensbedrohlich
werden, weshalb ein schnelles Gegensteuern entscheidend ist. Ist der Betroffene gut
informiert, kann er bei der Wahl und Durchführung der passenden Therapie intensiv mit einbezogen
werden. Die Patient:innen sollten immer ein offenes Ohr finden, wenn Handlungsbedarf
besteht. Das gilt auch für die Angehörigen der Betroffenen, denn sie können eine
große Stütze sein: Auch wenn es darum geht, körperliche und seelische Beschwerden
oder eine Verschlechterung des Zustandes frühzeitig zu erkennen. Sie spielen also eine
tragende Rolle, wenn es darum geht, Betroffene zu unterstützen und ihre Lebensqualität
zu verbessern.
Die einzelnen Initiativen www.leben-mit-myelofibrose.de, www.leben-mit-pv.de
und www.leben-mit-cml.de möchten Betroffene deshalb über alle Facetten der Erkrankung
informieren. Hier finden sich auch Patienten-Erfahrungsberichte und Expertenbeiträge
zu verschiedenen krankheitsrelevanten Schwerpunkten. Zudem finden Patient:innen
ausführliche Checklisten, die ihnen die Gespräche mit dem Behandlungsteam erleichtern
können: denn die Patient:innen selbst spielen eine wesentliche Rolle bei der
Wahl und Durchführung der geeigneten Therapie. Dazu kann auch eine Anpassung der bestehenden
Therapie gehören, wenn die bestehende Behandlung nicht den gewünschten
Erfolg erzielt. Dabei kann auch der MPN-Tracker unter www.mpntracker.com helfen,
der Patient:innen in Form eines Therapietagebuches bei der Dokumentation zur Entwicklung
ihrer Erkrankung unterstützt.
Zusammen stärker
Auch der Austausch mit anderen Betroffenen, Selbsthilfeorganisationen und Fachärzt:innen
stärkt Patient:innen und ihre Angehörigen im Umgang mit der Erkrankung.
Seit 2016 können MPN-Betroffene einen bundesweit etablierten Treffpunkt nutzen:
die MPN-Patient:innentage. Diese finden mehrmals im Jahr an immer anderen Standorten
statt, damit möglichst viele Betroffene teilnehmen können. Seit 2020 ist für einige
der Termine auch eine Online-Teilnahme möglich. Die Teilnahme an den MPN Veranstaltungen
ist kostenlos. Auf www.mpn-patiententage.de findet man die
Anmeldung für den nächsten Patient:innentag sowie weitere Informationen und
einen kleinen Rückblick auf vergangene Veranstaltungen.
Scannen Sie den QR-Code und lesen Sie mehr zu uns
auf unserer Webseite unter https://www.leben-mit-pv.de/sp1
10
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de
Hereditäres
Angioödem (HAE)
Schwellungsattacken beherrschbar machen –
Lebensqualität Betroffener steigern
Text Hanna Sinnecker
Das Hereditäre Angioödem (kurz
HAE) ist eine seltene vererbbare
Erkrankung, die sich durch wiederkehrende
Schwellungen bemerkbar
macht. Diese Schwellungen verursachen
starke Schmerzen und können
lebensbedrohlich werden, zum Beispiel
wenn sie im Halsbereich auftreten und
Betroffenen buchstäblich die Luft nehmen.
Je früher die Erkrankung diagnostiziert
wird, umso schneller kann eine Behandlung
in die Wege geleitet werden. Denn
mit der richtigen Therapie können Betroffene
ein nahezu normales Leben führen.
Was passiert bei HAE im Körper?
HAE-Betroffene weisen eine Mutation auf
dem Chromosom 11 auf, die einen Defekt
des sogenannten SERPING1-Gens verursacht.
Dieses Gen ist dafür zuständig,
das Protein C1-INH zu produzieren, das
bei HAE-Patienten nicht in ausreichender
Menge oder gar nicht produziert wird.
Das führt zu einer Störung des Enzyms
Plasma-Kallikrein, was wiederum zu einer
zu großen Menge des Gewebshormons
Bradykinin führt. Bradykinin reguliert
u. a. den Blutdruck und erhöht die Durchlässigkeit
der Blutgefäße. Die Folge von
zu viel Bradykinin: Die Blutgefäße werden
durchlässiger für das Blutplasma. Es tritt
aus den Gefäßen aus, lagert sich im Gewebe
ein und führt zu den attackenartigen
Schwellungen.
Wo können Schwellungen auftreten?
Die Schwellungen können nahezu überall
auftreten. Besonders häufig sind Schwellungen
der Haut, vor allem im Gesicht
(Augen, Lippen), an den Händen, Armen,
Füßen und Beinen. Auch an den Schleimhäuten
im Magen-Darm-Trakt können
diese Schwellungen auftreten, wo sie
Bauchschmerzen, kolikartige Krämpfe, Erbrechen
und Durchfall auslösen können.
Auch Kehlkopf, Genitalien, Harnblase,
Muskulatur, Gelenke, Gehirn und Nieren
können betroffen sein. Die Schwellungen
treten meistens attackenartig oder in
Schüben auf. Meist entwickeln sie sich
über einen Zeitraum von 12 bis 36 Stunden
und klingen unbehandelt innerhalb von
2 bis 5 Tagen wieder ab.
Schwellungsattacken kontrollieren –
Lebensqualität steigern
Ist die Erkrankung diagnostiziert, lassen
sich die Schwellungsattacken durch die
verfügbaren Behandlungsoptionen gut
kontrollieren. An spezialisierten Zentren
für seltene Erkrankungen oder HAE-
Zentren können der behandelnde Arzt
und der Patient die Behandlungsmöglichkeiten
besprechen, die immer darauf
abzielen, die Erkrankung zu kontrollieren
und im Idealfall Schwellungsattacken
ganz zu vermeiden – immer mit dem Ziel,
Betroffenen ein Leben zu ermöglichen,
das so normal wie möglich verläuft.
Mittlerweile stehen mehrere Medikamente
zur Verfügung, die prophylaktisch
eingesetzt werden, um Schwellungsattacken
gar nicht erst entstehen zu lassen.
Diese Medikamente unterscheiden sich lediglich
in der Art der Anwendung und den
Abständen der Verabreichung.
Da es trotz Prophylaxe dennoch sein kann,
dass plötzlich eine Attacke auftritt, sollten
Menschen mit HAE zusätzlich immer eine
ausreichende Menge Akutmedikamente
für mindestens zwei Attacken dabeihaben.
FOTO: SHUTTERSTOCK_2171232029
Patienteninitiativen machen Mut!
3 Fragen an Franziska von Werder, HAE-Patientin
Text Hanna Sinnecker
Wann haben Sie Ihre Diagnose erhalten?
Meine erste Attacke hatte ich mit 14
Jahren. Da meine Mutter ebenfalls betroffen
ist, war schnell klar, dass ich auch
HAE habe. Dieses „Glück“ hat ja aber
nicht jeder. Ich weiß, dass viele Betroffene
von Arzt zu Arzt laufen und es teilweise
Jahre dauert, bis sie eine Diagnose
erhalten.
Welche Herausforderungen gibt es für
Menschen mit HAE?
Die Attacken machen das Leben weniger
planbar und können theoretisch auch
lebensbedrohlich werden. Persönlich habe
ich mich aber nie wirklich eingeschränkt
gefühlt. Durch meine familiäre Vorbelastung
bin ich früh von Experten betreut
worden, die sich gut mit HAE auskannten.
Ich hatte immer meine Akutmedikation
dabei und konnte ein relativ normales
Leben führen. Aber als ich in eine
andere Stadt gezogen bin, habe ich auch
anderes erlebt. Da musste ich den Ärzten
erklären, was HAE ist und auch, dass
manche Therapievorschläge nicht helfen,
beispielsweise Kortison.
Wenn die
Diagnose einmal
steht, ist die
Herausforderung
eher eine
organisatorische.
Wenn die Diagnose einmal steht, ist
die Herausforderung eher eine organisatorische.
Ich nehme inzwischen regelmäßig
ein Medikament zur Prophylaxe,
habe aber vorsichtshalber auch immer
meine Akutmedikation dabei. Aber davon
abgesehen mache ich alles, was Nichtbetroffene
auch können: Ich habe studiert,
ich arbeite, mache Sport, gehe feiern,
fahre in den Urlaub …
Warum sind Initiativen für Betroffene
und ihre Angehörigen wichtig?
Patienteninitiativen mit Informationen
rund um die Erkrankung und Tipps für
ein Leben mit HAE machen Mut. Das
ist vor allem für Menschen wichtig, die
vielleicht noch gar nicht wissen, was sie
haben, oder für solche, die gerade frisch
diagnostiziert sind und sich fragen, wie
es jetzt weitergehen soll. Ich konnte mich
ja immer mit meiner Mutter austauschen,
aber was machen andere, die sich
ratlos und allein fühlen? Wäre ich damals
bei meiner Diagnose in einer anderen
Situation gewesen, hätte ich nach genau
so etwas gesucht.
Franziska von Werder (27) hat mit 14
Jahren die Diagnose HAE erhalten.
Sie lebt in Wiesbaden.
FOTO: PRIVAT
HAEllo zum Leben sagen – trotz seltener Erkrankung
Menschen mit der seltenen chronischen Erkrankung Hereditäres Angioödem (HAE) leiden unter plötzlich auftretenden Schwellungsattacken,
die den gesamten Körper betreffen können. Insbesondere im Kopf-Halsbereich kann es zu schweren, lebensbedrohlichen Attacken
kommen. Doch Informationen zu dieser seltenen Erkrankung sind häufig schwer zu finden. Nun bietet die Initiative
„HAEllo zum Leben“ umfangreiche Informationen zur Erkrankung, zu ihrem Management sowie Services und Hilfestellung.
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Das Hereditäre Angioödem (engl. hereditary
angioedema, kurz: HAE) ist eine chronische
genetische Erkrankung, die schon in frühen
Jahren auftreten kann. So wie beispielsweise
bei Franziska, 27, aus Wiesbaden.
Inzwischen hat sie ihr HAE gut im Griff – ihre
Geschichte macht Mut und ist unter
www.haellozumleben.de zu sehen.
Denn mit der Diagnose HAE stellen sich plötzlich
viele Fragen: Welche Auswirkungen hat HAE
auf mein Leben? Wie lässt sich HAE kontrollieren?
Was kann ich selbst tun, um mein Leben
mit HAE zu verbessern? Welche Therapiemöglichkeiten
habe ich? Die Initiative „HAEllo zum
Leben“ von BioCryst Pharma bietet mit einer
Website sowie den Social-Media-Kanälen Facebook
und Instagram Informationen zur Erkrankung und
ihrem Management, wie etwa den Behandlungsempfehlungen
der aktuellen Leitlinie, Aktionswochen oder
digitalen Experten-Sprechstunden sowie Patienten-
Insights und Tipps zum Umgang mit HAE.
Drei Fragen an Waldemar Heiduk, VP & General Manager
DACH bei BioCryst Pharma Deutschland
Die Diagnose HAE ist oft schwierig. Warum?
Die Symptome sind unspezifisch und ähneln
stark anderen Erkrankungen. Oft werden sie
als Lebensmittelunverträglichkeit, Allergie oder
Blinddarmentzündung fehlgedeutet. Da HAE so
selten ist, kann es schwierig sein, eine Ärztin
oder einen Arzt zu finden, der oder die Symptome
richtig deutet.
Warum ist eine Initiative wie „HAEllo zum Leben“
wichtig?
Solche Initiativen mit Tipps für ein Leben mit
HAE machen Mut. Das ist vor allem für Menschen
wichtig, die vielleicht noch gar nicht
wissen, was sie haben, oder für solche, die gerade
frisch diagnostiziert sind und sich fragen, wie es jetzt
weitergehen soll.
Was raten Sie Betroffenen?
Wichtig ist, sich bei unklarer Diagnose rechtzeitig
an ein Zentrum für seltene Erkrankungen oder ein
HAE-Zentrum überweisen zu lassen. Eine Liste mit
HAE-Behandlungszentren gibt es zum Beispiel bei der
deutschen HAE-Patientenvereinigung unter:
www.hae-online.de/behandlungszentren.
„HAEllo zum Leben" ist eine Initiative von BioCryst
Pharma Deutschland. Weitere Informationen finden
Sie auf unserer Webseite www.haellozumleben.de
und auf Facebook & Instagram @haellozumleben
Approval-Nr. DE.HAE.00084, Stand 12/2022 FOTOS: © BIOCRYST PHARMA
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 11
Vanessa Rennspieß hat EGPA:
„Es ist ein Kraftakt, wieder am normalen Leben teilzunehmen.“
Rheumatische Erkrankungen - Dabei denken viele zunächst an eine Volkskrankheit, die eine
Vielzahl an Menschen betrifft. Dabei gibt es auch eine beträchtliche Anzahl an seltenen rheumatischen
Erkrankungen, zu denen auch die sogenannten Vaskulitiden gehören, die durch eine Entzündung der
Blutgefäße charakterisiert sind. Vanessa Rennspieß ist betroffen von der Eosinophilen
Granulomatose mit Polyangiitis (kurz EGPA) und sprach mit uns über Ihr Leben mit dieser
seltenen Erkrankung.
Text Alexandra Lassas
Frau Rennspieß: Welche Erkrankungen haben
Sie und wie hat sich diese geäußert?
Ich leide an der Gefäßentzündung EGPA, die
sich vor 26 Jahren durch eine progressive systemische
Sklerose, eine Verhärtung des Gefäß- und Bindegewebes
der Haut geäußert hat. Die Beschwerden kamen
schleichend in mein Leben. Ich hatte schon länger etwas
Heuschnupfen, leichte Allergien und vermehrt taube,
blaue Finger. Durch einen Aufenthalt in einer Rehaklinik
erhielt ich die Diagnose Raynaud-Syndrom und hatte
zu diesem Zeitpunkt schon offene Stellen an meinen
Händen, vermehrt Schmerzen bei den einfachsten Bewegungen
und beim Luftholen. Auch hormonelle Veränderungen
durch die Geburt meiner Tochter verschlimmerten
meine Symptome.
schlimmerten sich meine Luftprobleme, die in vielen
Hustenanfällen endeten. Im März darauf begann ich eine
Chemotherapie, danach musste ich in die Uniklinik und
diese habe ich dann mehrere Monate nicht verlassen.
Eine schwere Panzytopenie und eine Entzündung der
Gallenblase folgten. Mit den verschiedenen Symptomen
startete ein jahrlanger Arztmarathon. Das erfordert gute
Koordination und gutes Zeitmanagement.
Dazu kommen die permanente Ungewissheit und die anhaltenden
Symptome. Spazieren gehen, mein geliebtes
Nordic Walking und überhaut Bewegung und Luft holen
wurden zur Tortur. Zudem wurde die gemeinsame Zeit
mit der Familie knapp. Das hat auch für mein Umfeld
alles verändert. Mein Mann und meine Tochter haben
stark darunter gelitten und sich um mich gesorgt.
Wie geht es Ihnen jetzt unter Therapie?
Ich bekomme einmal im Monat eine Spritze, ein Biologikum
für EGPA. Das hält meine Lunge in Remission.
Weiterhin gehe ich regelmäßig zur Kontrolle ins Uniklinikum.
Aber ich bin nach wie vor krankgeschrieben.
Das Leben ist nicht mehr das Gleiche. Auch jetzt noch
brauche ich viel Kraft, um wieder normal am Leben teilzunehmen.
Gemeinsame Unternehmungen mit meiner
Familie und dem Arbeitsalltag mit Tatendrang gegenüberstehen:
das ist mein Ziel.
Ist ihr Umfeld eine Stütze? Oder haben Sie Hilfe?
Aktuell habe ich die Krankheit einigermaßen im Griff.
Alle Dinge, die ich allein machen kann, versuche ich
zu organisieren und damit mein Umfeld nicht zu belasten.
Auch meine Therapie hat mir geholfen, mit der
Schwere meiner Krankheit umzugehen und nach vorne
zu schauen. Weiterhin helfen mir mein Job und meine
Tiere, die Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Durch
die Uniklinik und die Ärzte vor Ort fühle ich mich gut
betreut und biete gerne meine Hilfe an. Ich stelle mich
den forschenden Studenten zur Verfügung, die mein
Blut untersuchen und Informationen zu der Krankheit
sammeln, um so einen Beitrag zur Erforschung der
Krankheit zu leisten.
Weitere Unterstützung finden Betroffene und deren
Angehörige bei dem bundesweit tätigen
Verein Vaskulitis e. V.
Wie lange hat es gedauert, bis nach den ersten Beschwerden
die Diagnose gestellt wurde und was waren
in dieser Zeit die größten Herausforderungen
für Sie?
Die Symptome wurden von Jahr zu Jahr stärker und
ich musste mein Leben komplett einschränken. 2014
war auch meine Lunge betroffen, Kalkablagerungen in
meinem Körper führten zu einer Knie-OP und alles wurde
als Folge der systemischen Sklerose gesehen. 2017 ver-
Gibt es etwas, was Sie sich an Verbesserungen für
Betroffene wünschen würden?
Vor 25 Jahren war die Forschung noch in den Kinderschuhen
und man konnte nicht darauf schließen, dass ich
unter EGPA leide. Mittlerweile gibt es mehrere Medikamente
und Therapien, um die Symptome zu bekämpfen.
Die Koordination der Ärzte und das Zeitmanagement
raubt viel Kraft und Nerven, da brauch es einfach eine
bessere Struktur in unserem Gesundheitssystem.
Hauptstraße 6,
54526 Landscheid/Eifel
Tel.: 06575-9014995
Fax: 06575-903794
Mail: [email protected]
Mehr Informationen finden Sie auf unserer Webseite
www.vaskulitisverein-rlp.de
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG entstanden.
Der Wolf im Asthma-Pelz
Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA)
Gerade in der kalten Jahreszeit leiden Asthma-Patienten häufig unter einer Verschlechterung ihrer
Erkrankung oder treten Asthma-Symptome wie Atemnot mit oder ohne Reizhusten sowie ein Engegefühl
in der Brust das erste Mal auf. Manchmal steckt hinter dem Asthma die Autoimmunerkrankung EGPA,
die im Laufe der Zeit noch weitere Organe des Körpers angreift und bei besonders schweren Fällen tödlich
verlaufen kann. Pro Jahr treten in Deutschland nur etwa 1.000 bis 1.500 neue Fälle von EGPA auf, was sie zu
einer seltenen Erkrankung macht.
FOTO: SHUTTERSTOCK_1139638805
Dr. Sabine
Lampert
Fachärztin für
Innere Medizin und
Pneumologie
(Lungenfachärztin)
und Leiterin der
Lungenpraxis
„Lunge im Zentrum“
Frau Dr. Lampert, wie oft haben Sie
in Ihrer Praxis bereits Patient:innen
erlebt, hinter deren Asthma sich
eine EGPA verbarg, und wie sind Sie
ihr auf die Schliche gekommen?
Tatsächlich habe ich das schon mehrfach erlebt.
Asthma bronchiale ist eine Erkrankung
mit ganz unterschiedlichen Ursachen. Bei einigen
Patient:innen entwickelt es sich langsam
aus einem Heuschnupfen, bei anderen beginnt
es plötzlich z. B. nach einem Infekt. Bei allen
wollen wir mit der Therapie das Asthma unter
Kontrolle bringen, d. h. der/die Erkrankte
nimmt seine Medikamente und spürt sonst
nichts vom Asthma. Wenn das nicht gelingt,
muss man überlegen, warum nicht und dabei
auch an seltene Erkrankungen denken. Aber es
gibt auch andere Szenarien, die einen als Arzt/
Ärztin aufhorchen und an eine EGPA denken
lassen sollten. So erzählte mir ein Patient, der
zwar seitens seines Asthmas beschwerdefrei
war, von Herzproblemen und einer Nervenentzündung
im Bein! Bei einer anderen Asthmatikerin
fielen mir bestimmte Blutwerte im bei
uns standardmäßig durchgeführten großen
Blutbild auf. Es zeigte erhöhte Eosinophile, eine
bestimmte Art der weißen Blutkörperchen, die
zu bestimmen grundsätzlich wichtig für die
Asthmatherapie ist und deren starke Erhöhung
auf eine EGPA hinweisen kann.
Wieso wird die EGPA häufig erst so spät
diagnostiziert? Was ist die besondere
Schwierigkeit?
Ich glaube, das grundsätzliche Problem ist, dass
die EGPA so unterschiedliche Beschwerden machen
kann, die völlig unzusammenhängend erscheinen.
Die Schwierigkeit für mich persönlich
ist, unter den vielen Asthmatiker:innen, die ich
jeden Tag sehe, den/diejenige mit EGPA herauszufinden.
Man muss in dieser täglichen Routine
hellhörig sein und genau hinsehen. Nicht nur
das Asthma sehen und behandeln, sondern den
Menschen mit dem Asthma. Das ist zwar eine
Plattitüde, aber nichtsdestotrotz wahr.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es
heute für die Betroffenen?
Das Asthma wird bei Vorliegen einer EGPA genauso
behandelt, wie andere Asthmaformen
auch. Bei einem unkontrollierbaren, schweren
Verlauf stehen uns moderne Biologika zur Verfügung.
Für die EGPA an sich ist häufig der
Einsatz von Kortison notwendig, eventuell von
weiteren Immunsuppressiva, und auch moderne
zielgerichtete Therapien können eingesetzt
werden. Dafür sind Rheumatologen die Experten
und führen die Therapie. Die gute Zusammenarbeit
mit ihnen ist enorm wichtig und ich
bin sehr froh, dass dies mit meinen rheumatologischen
Kollegen der Fall ist.
NP-DE-MPL-ADVR-230001; 01/2023
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Morbus Fabry –
eine Erbschaft mit Folgen
FOTO: PRIVAT
Der Morbus Fabry ist eine erblich bedingte Stoffwechselstörung.
Betroffenen fehlt ein Enzym zum Aufspalten bestimmter
Fette. Die lagern sich infolgedessen in verschiedenen
Organen ab und schädigen sie zunehmend. Judith Roth
bekam die Diagnose Morbus Fabry mit 55. Hier berichtet sie
über ihren Alltag mit der lysosomalen Speicherkrankheit
– einer Erbschaft mit Folgen.
Text Doreen Brumme
Frau Roth, wie zeigte sich Ihr Morbus
Fabry und wann erhielten Sie Ihre
Diagnose?
Ich hatte keinerlei beunruhigende
Symptome. Gegen meinen Bluthochdruck
nahm ich seit Jahren Medikamente.
Bei der regelmäßigen Kontrolle
beim Nephrologen fiel immer mal wieder
zu viel Eiweiß im Urin auf, ich schluckte dann Antibiotika.
Mit Mitte 40 spürte ich, dass ich körperlich nicht
mehr ganz so fit war wie früher, ich wurde schneller
müde, konnte mich mitunter nur schwer konzentrieren.
Das schob ich aber auf die Wechseljahre. Im Jahr 2017
bekam meine Schwester plötzlich Herzprobleme, deren
Ursache lange keiner erklären konnte – bis ein Gentest
ihr schließlich einen Morbus Fabry bescheinigte.
Meine Schwester fand schnell heraus, dass dieser über
das X-Chromosom des Vaters an alle Töchter vererbt
wird, und sprach mich daraufhin an. Ein Gentest brachte
mir meine Diagnose 2018. Bei den anschließenden
Untersuchungen zeigten sich bei mir typische Symptome:
Meine Herzwand war verdickt und der Herzmuskel
vergrößert. Ein aktuelles Kopf-MRT (Magnet-Resonanz-
Tomographie) ergab zudem leichte Ablagerungen im
Gehirn, und neben dem Herz ist auch meine Niere inzwischen
leicht betroffen.
Der Austausch mit
anderen Betroffenen
in der Morbus Fabry
Selbsthilfegruppe ist eine
große Hilfe für mich.
Noch ist ein Morbus Fabry zwar unheilbar – doch
er ist gut behandelbar. Lassen Sie sich therapieren,
und wie geht es Ihnen unter der Therapie?
Ich bin, wie auch mein Sohn, seit drei Jahren in Behandlung,
zuerst bei Spezialisten in Mainz, inzwischen
in Heidelberg. Ich bekomme eine Enzymersatztherapie,
das heißt, dass mir alle 14 Tage ein synthetisches Enzym
in die Blutbahn gegeben wird, anfangs in der Klinik,
mittlerweile zu Hause. Meine Tochter startet demnächst
mit ihrer Therapie.
Die Infusionen vertrage ich gut. Manchmal bin ich danach
etwas erschöpft, aber das hat sicher auch noch andere
alltägliche Ursachen. Vergangenes Jahr hatte ich
plötzlich Herzrhythmusstörungen, was für Menschen
wie mich – mit „Baustelle am Herzen“ – nicht untypisch
ist. Mit einer Kardioversion konnte der zu schnelle Herzrhythmus
wieder normalisiert werden (Sinusrhythmus).
Wirklich beeinträchtigt fühle ich mich von meinem
Morbus Fabry nicht – noch ist er kein Störfaktor. Zum
Glück ist er bislang auch schmerzlos.
Ein Morbus Fabry ist chronisch, er bleibt Ihr Leben
lang. Wie läuft der Alltag damit?
Ich habe mich arrangiert. Es dauerte zwar, bis ich mir
vor zwei Jahren eingestand, dass mir mein Job in der
Augenarztpraxis zu stressig geworden war. Doch heute
arbeite ich im Gemeindebüro einer evangelischen
Kirche in Wiesbaden – und der Wechsel tat mir gut.
Die regelmäßige Heimtherapie ist ein Termin im Kalender
wie jeder andere auch. Mit der Erschöpfung, die
mich begleitet, habe ich umzugehen gelernt. Spüre ich
sie, gebe ich meinem Körper, was er braucht: Ruhe. Ich
lege mich hin und sage auch mal die eine oder andere
geplante Unternehmung ab, gerade in für alle sowieso
stressigen Zeiten wie vor Weihnachten: Da sinkt meine
Belastbarkeit spürbar und ich bin auch psychisch schon
mal etwas angeschlagen. Hilfreich ist für mich dann oft
der Austausch mit anderen Betroffenen in der Morbus-
Fabry-Selbsthilfegruppe.
Morbus Fabry
Selbsthilfegruppe e. V.
In Deutschland sind derzeit etwa 1.200 Morbus Fabry-
Patienten diagnostiziert, wobei eine hohe Dunkelziffer vermutet
wird. Es ist eine Erbkrankheit, die zu Beginn sehr unspezifische
Auswirkungen hat: Schmerzen in den Gelenken, Flecken auf
der Haut oder extreme Müdigkeit. Auch Brennschmerzen in
den Händen und Füßen, die bereits Betroffene im Kindesalter
bemerken, können ein Hinweis auf die Erkrankung sein. So wird
die Krankheit häufig erst festgestellt, wenn sie schon große
Schäden angerichtet hat: starke Nierenschädigung, Schlaganfall
in jungen Jahren oder extreme Vergrößerung des Herzmuskels.
Unbehandelt kann sich die Lebenszeit Betroffener um
bis zu 25 Jahre verkürzen. Seit 20 Jahren gibt es für Patienten
mit Morbus Fabry wirkungsvolle Therapien, die die Erkrankung
stoppen oder verlangsamen. Je früher sie erkannt wird, umso
geringer sind die bleibenden Schäden. Doch gibt es nur wenige
gute Behandlungszentren für diese seltene Erkrankung.
Es ist wichtig, dass wir als Gruppe von betroffenen Patienten
sichtbarer werden, uns gegenseitig mit Informationen über
Kliniken und neue Therapieansätze versorgen – auch im
persönlichen Austausch. Mit mittlerweile 160 Mitgliedern
versucht die Morbus Fabry Selbsthilfegruppe (MFSH) unter
anderem, in der Politik und in der Forschung auf dieses Krankheitsbild
aufmerksam zu machen. Zusammen sind wir stark:
Je mehr Menschen uns als Mitglieder unterstützen, umso mehr
Gehör bekommen wir!
Weitere Informationen unter: www.fabry-shg.org
Was fühlten Sie in dem Moment der Diagnose?
Nach dem ersten Schock sagte ich mir: „Judith. Du hast
55 Jahre ohne große gesundheitliche Probleme gelebt.
Das ist jetzt so. Da musst du künftig eben drauf achten.“
Ich war Arzthelferin bei einem Augenarzt – der „professionelle“
Hintergrund half mir, die Diagnose zu schlucken.
Viel schwerer dagegen fiel es mir, meinen Kindern
davon zu berichten und ihnen zu sagen, dass ich ihnen
den Morbus Fabry vererbt haben könnte: Das Risiko lag
bei 50:50.
Bestätigte sich Ihre Befürchtung?
Leider ja. Sowohl mein Sohn als auch meine Tochter,
heute beide über 30, haben einen Morbus Fabry. Unsere
„familiäre Mutation“ der Erkrankung ist zwar nicht ganz
so gravierend, aber bei meinem Sohn zeigten sich bereits
erste Anzeichen an den Nieren. Es ist krankheitstypisch,
dass Männer meist früher und stärker davon betroffen
sind. Bei meiner Tochter waren die Testbefunde glücklicherweise
bislang negativ.
FOTO: SHUTTERSTOCK_1494978623
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 13
Auch das Seltene
im Blick haben
Morbus Fabry ist eine seltene monogenetische Stoffwechselstörung, die zu den lysosomalen
Speichererkrankungen gehört. Was viele Betroffene eint, ist der oftmals lange Leidensweg bis zur Diagnose.
Wir sprachen mit Prof. Dr. Christine Kurschat, Leiterin der Morbus Fabry Spezialambulanz am UK Köln,
über die seltene Erkrankung.
FOTO: SHUTTERSTOCK_1662240391
Text Miriam Rauh
Prof. Dr. Christine
Kurschat
Internistin, Nephrologin,
Transplantationsmedizinerin,
Hypertensiologin
DHL und Leiterin
der Spezialambulanz
Morbus Fabry
am UK Köln
Morbus Fabry wird auch als das
„Chamäleon unter den seltenen
Erkrankungen“ bezeichnet.
Warum?
Morbus Fabry kann sehr viele verschiedene
Symptome in unterschiedlichen Bereichen
hervorrufen, zum Beispiel an der Niere,
in den Blutgefäßen oder am Herzen, auch
frühe Schlaganfälle können ein Zeichen sein.
Fabry-Patienten weisen aber nie alle Symptome
auf und auch innerhalb der gleichen
Familie sind die Symptome der einzelnen Betroffenen
oft ganz unterschiedlich.
Was passiert bei der Erkrankung im Körper?
Bei Morbus Fabry kann ein bestimmter Stoff
nicht abgebaut werden, weil das Enzym
Alpha-Galaktosidase fehlt, bzw. nicht richtig
funktioniert. Das führt dazu, dass die Fettstoffe,
Glykosphingolipide, die das Enzym
normalerweise spaltet, sich im Gewebe und in
zahlreichen Organen anreichern, insbesondere
das Globotriaosylceramid, GL-3 oder Gb3.
Diese Anreicherung lässt sich bereits in der
Plazenta nachweisen. Die klinischen Auswir-
kungen zeigen sich erst später, allerdings kann
Morbus Fabry schon im Kindes- und Jugendalter
zu Beschwerden führen, wie brennenden
Schmerzen an Händen und Füßen, die in Wellen
auftreten und durch bestimmte Umstände wie
körperliche Anstrengung oder fiebrige Infekte
ausgelöst werden. Oft wird dies als Wachstumsschmerz
abgetan, aber man sollte bei solchen
Symptomen immer auch daran denken, dass
eine seltene Erkrankung dahinterstecken kann.
Wie lange dauert es durchschnittlich bis zur
Diagnose?
Bis zur Diagnose können durchaus zehn bis
fünfzehn Jahre vergehen, manchmal mehr. Das
liegt daran, dass die Symptome, die sich anfangs
zeigen, meist sehr unspezifisch sind.
Es gibt ca. 8000 verschiedene seltene Erkrankungen;
man denkt zunächst an die häufigen,
bis man sich unter den seltenen auf Ursachenforschung
macht. Wenn etwas nicht ins Bild
passt, beispielsweise eine seltsame Hautveränderung,
merkwürdige Einlagerungen in der
Hornhaut oder ein dickeres Herz, ohne dass ein
Bluthochdruck vorliegt, könnte dies auf Morbus
Fabry hinweisen.
Welche Rolle spielt die Familienanamnese?
Da es sich um eine erbliche Erkrankung handelt,
ist sie sehr wichtig. Im Fabry-Zentrum machen
wir bei der Erstvorstellung immer eine ausführliche
Familienanamnese und zeichnen auch den
Stammbaum auf. Wenn ein Betroffener Morbus
Fabry hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es
innerhalb der gleichen Familie weitere Betroffene
gibt, die eine Therapie benötigen.
Vor zwanzig Jahren wurde die erste kausale
Therapie für Fabry-Betroffene zugelassen.
Was hat sich seitdem getan?
Es ist gut, dass wir die Therapie haben, die Daten
sind sehr überzeugend. Wir können Krankheitsverläufe
verlangsamen und Lebenszeit verlängern.
Allerdings kann man Morbus Fabry bislang nicht
komplett zum Stillstand bringen. Für den Therapieerfolg
spielt eine Rolle, ob die Erkrankung früh
entdeckt wurde oder ob schon Organe geschädigt
sind. Es müssen nicht alle Betroffenen therapiert
werden.
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Morbus Fabry in der Familie?
Information für Betroffene und deren Angehörige
Morbus Fabry ist eine genetische Erkrankung, die
über mehrere Generationen einer Familie vererbt
werden kann. Das heißt: Wenn eine Person in einer
Familie die Diagnose Morbus Fabry hat, können andere
Familienangehörige ebenfalls betroffen sein.
Eine ausführliche Analyse des Familienstammbaums
ist daher sehr wichtig für Betroffene und
deren Angehörige.
Ich bin betroffen – Was nun?
Ist die Diagnose Morbus Fabry gestellt, dann ist es
für Betroffene wichtig zu wissen, was die eigene
Diagnose für Familienangehörige bedeuten kann
und wer aufgrund des Vererbungsmusters ein erhöhtes
Risiko für Morbus Fabry hat. Hier kommt
die neue Website www.fabryfamilytree.de ins
Spiel, die Betroffenen umfassende Informationen
und Hilfestellungen an die Hand geben möchte.
Dazu gehören grundlegende Informationen, wie
die Erkrankung vererbt wird und wer in der
Familie ein erhöhtes Risiko hat. Über ein Online
Stammbaum-Tool kann man zusammen mit seinem
behandelnden Arzt seinen individuellen Fabry-
Stammbaum erstellen und für die persönliche Nutzung
herunterladen, um Angehörige mit erhöhtem
Fabry-Risiko gezielt informieren zu können. Die
Daten werden streng vertraulich behandelt. Die
Website gibt professionelle Hilfestellung, wie man
Angehörige mit erhöhtem Risiko dann darauf ansprechen
und sie aufklären kann. Dazu gehört auch
eine Briefvorlage, die man nutzen kann, wenn eine
direkte Ansprache sich schwierig gestalten sollte.
PSYCHOSOZIALE
ASPEKTE
• Depression
• Angstzustände
• Panikattacken
• Isolation
AUGEN
• Wirbelförmiges
Muster auf der
Hornhaut
• Fabry-Katarakt
(eine bestimmte
Form der Linsentrübung)
NIEREN
• Eiweiß im Urin
• Verminderte
Nierenfunktion
• Nierenversagen
HAUT
• Vermindertes Schwitzen
• Kleine dunkelrote Punkte, die als Angiokeratome
bezeichnet werden, vor allem
zwischen Bauchnabel und Knien
NERVENSYSTEM
• Starke Schmerzen, die
Minuten bis Stunden andauern
• Hörverlust, Tinnitus
• Hitze- oder Kälteunverträglichkeit
oder Belastungsintoleranz
• Transitorisch-ischämische
Attacke (TIA) und Schlaganfall
• Brennen der Hände und Füße,
auch als Akroparästhesie bezeichnet
• Schwindel
HERZ
• Unregelmäßiger
Herzschlag (schnell
oder langsam)
• Herzanfall oder
Herzversagen
• Vergrößertes Herz
MAGEN-DARM
• Übelkeit und
Erbrechen
• Durchfall und/oder
Verstopfung
• Bauchschmerzen
• Blähungen
Informationen für Familienangehörige mit
erhöhtem Fabry Risiko
Auf der Website gibt es aber auch für Angehörige
von Morbus Fabry-Patienten detaillierte Informationen,
die dabei helfen sollen, die Erkrankung zu
verstehen und warum sie selbst ein erhöhtes Risiko
haben. Dabei ist eines sehr wichtig: ein erhöhtes
Risiko bedeutet nicht zwangsläufig, dass man
tatsächlich auch betroffen ist.
Daher sollten Angehörige, die laut Stammbaum
ein erhöhtes Risiko haben, unbedingt einen Arzt
ansprechen und weitere Untersuchungen durchführen
lassen. Das kann der eigene Hausarzt oder
aber der Fabry-Spezialist des betroffenen Angehörigen
sein. Der Arzt entscheidet dann, ob ggf.
auch eine genetische Testung sinnvoll ist.
Informationen für das Fachpersonal
Aber auch medizinisches Fachpersonal findet auf
der Website Materialien und Hilfestellungen, wenn
es darum geht, Fabry-Patienten oder deren Angehörige
zu beraten und aufzuklären. Dazu gehört
ebenfalls die Nutzung des Online Stammbaum-
Tools in Zusammenarbeit mit dem Patienten, sowie
weitere Broschüren, die beim Familienscreening
unterstützen sollen.
Informieren Sie sich unter
www.fabryfamilytree.de
14
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de
Neue Behandlungsansätze für das
Bardet-Biedl-Syndrom: Im Fokus
steht, die große Last der Erkrankung für
Betroffene zu mindern
FOTO: SHUTTERSTOCK_1347452750
Patienten mit dem Bardet-Biedl-Syndrom leiden aufgrund einer genetischen Mutation unter einem
unkontrollierbaren Hungergefühl, das bereits im Kindesalter zu sehr starkem Übergewicht führt.
Betroffene leiden darunter oft sehr und fühlen sich isoliert.
Text
Hanna Sinnecker
Dr. med.
Metin Cetiner
Oberarzt und
Facharzt für Kinderund
Jugendmedizin,
Kindernephrologe,
Transplantationsmediziner,
Pädiatrische
Sonographie
(Universitätsklinikum
Essen)
Weitere
Informationen
zum NEOCYST-
Forschungsprogramm
unter:
www.neocyst.de
Weitere
Informationen zum
Patientenseminar
des Arbeitskreises
Bardet-Biedl-
Syndrom finden
Sie im Veranstaltungskalender
der
PRO RETINA e. V.
unter:
www.pro-retina.de
Das Bardet-Biedl-Syndrom ist eine seltene
genetisch bedingte Erkrankung
und gehört zu den sogenannten Ziliopathien.
Sie wirkt sich als Multisystemerkrankung
auf den gesamten Körper Betroffener
aus. Wir sprachen mit Dr. Metin Cetiner, der
sich unter anderem auf die Behandlung dieser
sehr belastenden Erkrankung spezialisiert hat.
Herr Dr. Cetiner, das Bardet-Biedl-Syndrom
(BBS) ist eine seltene genetisch bedingte
Erkrankung. Was macht die Diagnose für
Mediziner so schwer?
Zunächst natürlich die Seltenheit. In unserem
Register haben wir ca. 170 Betroffene in Deutschland,
wobei die tatsächliche Zahl vermutlich
etwa fünf- bis zehnmal so hoch ist. Zudem gibt
es sechs Leitsymptome, die in verschiedenen Bereichen
des Körpers und auch nicht gleichzeitig
auftreten. Die Herausforderung ist daher, überhaupt
erst einmal den richtigen Verdacht auf
BBS zu haben.
Wie sehen diese Leitsymptome aus, und wie
kann die Diagnose gestellt werden?
Das erste Symptom ist die sog. Polydaktylie
(Mehrfingrigkeit): Manche Betroffene haben
bei Geburt einen ganzen Finger oder Zeh mehr,
manche haben verkürzte oder zusammengewachsene
Finger oder Zehen. Hinzu kommen
Nierenauffälligkeiten wie zu große bzw. zu
kleine Nieren mit veränderter Binnenstruktur
und teilweise Zysten. Etwa ab dem 6. Lebensmonat
zeigt sich zudem eine starke, fortschreitende
Übergewichtigkeit, denn durch eine Genmutation
funktioniert das Sättigungszentrum im
Gehirn nicht, Betroffene kennen also das Gefühl
„Ich bin satt“ nicht und entwickeln ein unkontrolliertes
gesteigertes Essverhalten (sog. Hyperphagie).
Insgesamt zeigt sich bei den Kindern
eine Entwicklungsverzögerung speziell beim
Laufen- und Sprechenlernen. Zudem kommen
betroffene Kinder mit Veränderungen nicht gut
zurecht, sind stark routineliebend und haben
eine niedrige Frustrationsgrenze. Hinzu kommt
der Hypogenitalismus, also eine Unterentwicklung
der Geschlechtsorgane. Männliche Betroffene
haben einen Mikropenis und die Hoden
können in der Leiste verortet sein. Weibliche Betroffene
können Veränderungen an der Vagina,
den Schamlippen oder der Gebärmutter aufweisen,
was aber häufiger übersehen wird, da ein
Ultraschall vonnöten wäre, um diese Veränderungen
zu entdecken. Das Symptom, das am spätesten
auftritt, aber am deutlichsten auf ein BBS
hinweist, ist die Netzhautdegeneration: Betroffene
verlieren zunehmend ihre Sehfähigkeit. Das
zeigt sich schon im Vorschulalter durch Nachtblindheit
(Angst und Orientierungsschwäche im
Dunkeln) und Lichtempfindlichkeit. Deutlich
zeigen sich die Beschwerden dann in der Puber-
tät (typischer Tunnelblick) und verschlechtern
sich recht schnell, sodass Betroffene im Übergang
zum Erwachsenenalter meist nur noch einen
Visus von fünf bis zehn Prozent haben und
somit per definitionem blind sind.
Die Diagnose an sich kann recht unkompliziert
durch einen Gentest gestellt werden. Durch die
Bandbreite der Symptome gibt es aber große
Unterschiede, wann die Diagnose erfolgt. Wird
das BBS nicht im Kindes- oder Jugendalter diagnostiziert,
dann ist die Gefahr sehr hoch, dass die
Betroffenen erst sehr spät oder nie diagnostiziert
werden.
Wie sehen die Behandlungsmöglichkeiten
derzeit aus, und können die verfügbaren
Therapien die Lebensqualität Betroffener
verbessern?
Bisher gibt es keine Therapie gegen das gesamte
Symptomspektrum des BBS, aber es wird intensiv
an einer möglichen Gentherapie geforscht.
Bezüglich der Netzhautdegeneration kann man
nur begleitende Maßnahmen in die Wege leiten,
aufhalten kann man den Sehverlust bisher leider
nicht. Auch die starke Übergewichtigkeit bedeutet
eine enorme Last für die Betroffenen und ihre
Familien. Eltern versuchen, das unter Kontrolle
zu halten, sperren das Essen weg und schließen
teils sogar den Kühlschrank ab, das Thema (zu
viel) Essen ist allgegenwärtig. Betroffene Kinder
ziehen sich zurück und leiden sehr stark
unter ihrem Anderssein. Denn wir sprechen von
schwerstem Übergewicht, das die Kinder und
jungen Erwachsenen besonders in Kombination
mit den anderen Symptomen vom normalen
Leben ausschließt.
Ein weiteres Symptom, das auf das Bardet-Biedl- Syndrom
hinweisen kann, sind überzählige Finger oder
Zehen. Diese werden aber oft direkt nach der Geburt
operativ entfernt, ohne dass an diese Erkrankung als
Ursache gedacht wird.
FOTO: SHUTTERSTOCK_1407840644
Hier wurde kürzlich ein neues Medikament
zugelassen, das die erste und einzige kausale
Therapie gegen den spezifischen Gendefekt darstellt,
der das Sättigungszentrum außer Kraft
setzt. Dieses Medikament kompensiert den Gendefekt
durch einen MC4R-Rezeptor-Agonisten,
der das Sättigungszentrum wieder aktiviert,
wodurch es laut aktueller Studienlage bei vielen
Patientinnen und Patienten zu einem deutlich
reduzierten Hungergefühl und infolgedessen zu
einer starken Gewichtsreduktion kommt. Auf
dieses Medikament setzen viele Betroffene sehr
viel Hoffnung.
Die größte
Unterstützung können
sich Betroffene und
Angehörige gegenseitig
geben.
Betroffene und deren Familien/Angehörige
erleben durch die Erkrankung eine starke
Belastungssituation, die die Lebensqualität
stark einschränken kann. Wo erfahren Betroffene
Unterstützung?
Die größte Unterstützung können sich Betroffene
und deren Angehörige gegenseitig geben. In der
Patientenvereinigung PRO RETINA e. V. gibt es
einen Arbeitskreis zum Bardet-Biedl-Syndrom,
in dem Betroffene und Eltern betroffener Kinder
erfahren: Wir sind nicht allein! Vom 12. bis 14.
Mai 2023 wird es in Bonn ein Patientenseminar
der PRO RETINA geben, das eine tolle Möglichkeit
der Vernetzung darstellt.
Sie sind Ansprechpartner für das NEOCYST-
Forschungsprogramm, das sich u.a. auf die
Erforschung des BBS fokussiert. Welche Vorteile
hat ein Patient, der sich an diesem Programm
beteiligt?
Wir vernetzen die behandelnden Ärzte und die
Grundlagenforscher mit der BBS-Community,
um die Erkrankung besser zu verstehen und im
Idealfall neue Behandlungsansätze entwickeln
zu können, die den Betroffenen zugutekommen.
Dieser transparente Austausch schafft eine Win-
Win-Win-Situation und erhöht die Motivation
auf allen Seiten! Zudem ist das BBS in vielerlei
Hinsicht eine Modellerkrankung, denn die
Forschung an dieser Erkrankung hat uns schon
viele Erkenntnisse beschert, die auch auf andere
Erkrankungen anwendbar sind. Teilnehmende
Betroffene werden also aktiver Teil der Forschergemeinschaft!
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 15
Adipös, seheingeschränkt, entwicklungsverzögert –
Wie das Bardet-Biedl-Syndrom das Leben Betroffener zu
einer besonderen Herausforderung macht
Das Bardet-Biedl-Syndrom (kurz BBS) ist eine seltene genetisch bedingte Erkrankung,
die das Leben Betroffener extrem beeinträchtigt. Besonders der Verlust der Sehfähigkeit, die
zum Teil stark eingeschränkte Nierenfunktion, vielfältige Entwicklungsverzögerungen und das starke,
genetisch bedingte Übergewicht sind extrem belastend und schränken den Alltag in vielen Bereichen
ein. Hinzu kommt die Stigmatisierung von außen, denn die Symptome können sie zur Zielscheibe
ihrer Mitmenschen machen. Wir sprachen mit Maximilian Kerber (BBS-Patient) und Andrea Kierek
(Mutter von zwei betroffenen Kindern) über die extreme Last der Erkrankung und die große Hoffnung
auf zielgerichtete Therapien.
Interviewpartner: Maximilian Kerber (Betroffener und Leiter des Arbeitskreises Bardet-Biedl-Syndrom
der PRO RETINA e. V.) und Andrea Kierek (Mutter von zwei betroffenen Kindern)
Text Hanna Sinnecker
Herr Kerber, sie sind betroffen vom Bardet-
Biedl-Syndrom (BBS). Wie und wann hat
sich die Erkrankung bei Ihnen bemerkbar
gemacht?
Meine Mutter hat schon früh gemerkt, dass etwas nicht
stimmt, und ist mit mir von Arzt zu Arzt gelaufen. Ich
war immer ein wenig tollpatschig, da meine Grob- und
Feinmotorik nicht richtig funktioniert. Zudem hatte ich
bei meiner Geburt einen sechsten Zeh, der operativ entfernt
wurde. Im Grundschulalter kamen der Sehverlust
und das starke Übergewicht hinzu. Meine Eltern haben
daher immer auf genügend Bewegung und eine ausgewogene
Ernährung geachtet, damit das Übergewicht
nicht überhandnimmt.
Als ich sechs oder sieben war, hat erstmals ein Humangenetiker
den Verdacht BBS geäußert. Damals, Anfang
der 2000er, wurden meine Werte in die USA geschickt,
wo dann auch die Diagnose gestellt wurde. Heute können
bereits mehr als 20 verschiedene BBS-Gene ganz
einfach erkannt werden. Da hat sich in den letzten Jahren
vieles weiterentwickelt. Ab diesem Zeitpunkt wurde
ich in einer Kinderklinik betreut. Später kam dann noch
eine Entwicklungsverzögerung hinzu, meine Pubertät
musste daher hormonell eingeleitet werden.
Herr Kerber, wie sieht Ihr Alltag mit der Erkrankung
aus und was sind die größten Herausforderungen?
Das Thema der ausreichenden Bewegung, in Kombination
mit dem Sehverlust und meiner gestörten Motorik,
ist nicht immer einfach zu bewältigen, da man zusätzlich
eingeschränkt und gehemmt ist. Die Gewichtskontrolle
ist daher ein wichtiges Thema. Auch die Frage,
welches Schulsystem für mich das richtige ist, war nicht
leicht zu lösen. Ich habe das normale Regelschulsystem
durchlaufen und mein Schulalltag war in bestimmten
Bereichen auf mich angepasst, wo es notwendig war: Ich
wurde z. B. beim Sportunterricht nicht nach Leistung beurteilt,
oder ich habe Aufgabenstellungen aufgrund meiner
Seheinschränkung größer ausgedruckt bekommen.
Aber das Unverständnis seitens meiner Mitschüler hat
mich durchgehend in der weiterführenden Schule begleitet.
Später habe ich trotz der Erkrankung studiert und bin
in den Beruf eingestiegen, was für viele Betroffene nicht
oder nur zum Teil möglich ist. Was mich ständig begleitet,
sind die massiven Einschränkungen durch den
Sehverlust. Hier wird einem tagtäglich bewusst, dass
man zu einem gewissen Teil eingeschränkt ist. Auch begleiten
mich oft die Gedanken, wie es mit meiner noch
gesunden Niere weitergehen wird, da dies auch ein häufiges
Symptom der Erkrankung ist und auch erst zu einem
späteren Zeitpunkt auftreten kann. Wie stark die Erkrankung
im Zusammenspiel der Symptome mich im
Alltag einschränkt, ist mir aber tatsächlich erst in den
letzten Jahren bewusst geworden. Für Außenstehende
war z. B. nicht nachvollziehbar, dass ich aufgrund der
Seheinschränkung gewisse Dinge nicht wahrnehme oder
Menschen ungewollt anremple. Da stößt man auf Unverständnis
und verärgerte Mitmenschen. Seit zwei Jahren
habe ich einen Blindenstock, der auch als eine Art „Erkennungszeichen“
fungiert: Seitdem treffe ich auf viel
größeres Verständnis und mehr Hilfsbereitschaft.
Frau Kierek, Sie sind Mutter von zwei betroffenen
Kindern. Was macht eine solche Diagnose mit den
Eltern?
Meine Kinder waren 11 und 14 bei der Diagnose, bis dahin
hatten auch wir viele Ärzte und Kliniken gesehen.
Zu erfahren, dass meine Kinder blind werden: Das war
ein Schock. Da fragt man sich, wie die Kinder und man
selbst das bewältigen soll. Auf der anderen Seite war es
mit der Diagnose leichter, ihre Symptome zu erklären.
Ich dachte schon immer, dass etwas Seltenes dahinterstecken
könnte. Meine Tochter war wegen organischer
Beschwerden, u.a. einer Nierentransplantation, oft im
Krankenhaus. Dadurch war ihre Entwicklungsverzögerung
leichter nachvollziehbar. Bei meinem Sohn war
es schwieriger: Er hat autistische Züge und eine extreme
Sprachbeeinträchtigung, das war komplizierter zu erklären.
Und natürlich war auch das Übergewicht ein Problem,
da es den Alltag sehr prägt und rund ums Essen
viel Konfliktpotenzial bietet. In der Beziehung war die
Diagnose schon eine gewisse Erleichterung, da wir nun
wussten, was hinter den Beschwerden steckt, und etwas
gelassener damit umgehen konnten.
Oftmals sind die direkten Angehörigen diejenigen,
die sensibler für den Gesundheitszustand Betroffener
sind. Ist das auch bei Ihnen der Fall, und wie
gehen Sie damit um?
Kierek: Wir versuchen, unseren Kindern nicht all unsere
Sorgen und Befürchtungen mitzuteilen, aber sprechen
natürlich mit ihnen über die besonderen Herausforderungen,
die sie haben. Wir versuchen, sie zu motivieren,
dranzubleiben, auch wenn sie schon viele Dinge ausprobiert
haben. Generell benötigen unsere Kinder aber sehr
viel Betreuung und werden diese auch ihr Leben lang
benötigen. Sie sind inzwischen 19 und 22 Jahre alt und
werden nie so selbstständig sein wie Herr Kerber, der
verheiratet ist, seiner Arbeit nachgeht und sein Leben
selbstständig lebt. Von daher muss ich oft Entscheidungen
für meine Kinder treffen.
FOTO: SHUTTERSTOCK_1798021732
Hatten Ihre Kinder auch mit Unverständnis im Umfeld
zu kämpfen?
Mein Sohn ist generell eher zurückhaltend und hat sich
mit seiner besonderen Rolle irgendwie arrangiert, er
würde solche Punkte nie von sich aus ansprechen. Meine
Tochter ist sehr kontaktfreudig und hatte stärker damit
zu kämpfen, in der Schule wurde sie oft sehr gemobbt.
Sie hat zwar immer irgendwie ihren Weg gefunden und
auch viele einfühlsame und verständnisvolle Menschen
getroffen. Aber da kommt man als Mutter schon an seine
Grenzen, wenn die eigenen Kinder derartigen psychischen
Belastungen ausgesetzt sind. Man versucht dann,
die positiven Erlebnisse zu verstärken und das abzufedern.
Sie sind beide aktiv im Arbeitskreis Bardet-Biedl-
Syndrom in der PRO RETINA. Welche Rolle spielt für
Sie beide die Vernetzung mit anderen Betroffenen,
und was wünschen Sie sich hinsichtlich der Versorgung
von Betroffenen?
Kierek: Für mich war das erste BBS-Patientenseminar
der PRO RETINA ein beeindruckendes Erlebnis. Bei der
PRO RETINA hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Die
wissen, wovon ich spreche und wie es uns geht. Jetzt,
wo ich aktiv im Arbeitskreis tätig bin, ist es toll zu sehen,
was an Forschung geschieht, wie gefragt die Patientinnen
und Patienten diesbezüglich sind und was im Miteinander
erreichbar ist.
Kerber: Wir haben mit unserer Patientengruppe eine
ganz tolle Gemeinschaft von Betroffenen, ihren Angehörigen
und Forschern, die uns sehr unterstützen. Man ist
nicht mehr allein und kann zudem die Forschung aktiv
mitgestalten, wie zum Beispiel auch bei der ersten Therapie
gegen die genetisch bedingte Adipositas in Zusammenhang
mit dem BBS.
Da waren wir von Anfang an eng eingebunden, damit
das patientennah geschieht und wir unsere Eindrücke
und Aspekte mit einbringen können.
Deswegen ist die Finanzierung der Forschungsprojekte
für mich ein ganz wichtiger Punkt. Es ist vieles auf den
richtigen Weg gebracht, aber ich wünsche mir, dass es
einfacher wird, Fördermittel zur Erforschung und Behandlung
Seltener Erkrankungen zu bekommen.
Der größte Wunsch von ganz vielen Betroffenen ist aber
sicher die Entwicklung von Therapien. Die neue Therapie
gegen die Adipositas ist für uns ein erster Schritt in
die richtige Richtung zur Behandlung des Bardet-Biedl-
Syndroms. Wenn es dann noch gelingt, eine Therapie
gegen den fortschreitenden Sehverlust zu entwickeln,
wäre das ein riesiger Erfolg für die Betroffenen!
Arbeitskreis Bardet-Biedl-Syndrom
(BBS) der PRO RETINA
Im Arbeitskreis Bardet-Biedl-Syndrom (BBS) haben sich Betroffene
mit dieser Erkrankung und deren Angehörige zusammengeschlossen.
Vielleicht haben Sie Fragen oder möchten gern
Ihre Erfahrungen mit anderen Betroffenen austauschen. Der
Erfahrungsaustausch in der PRO RETINA kann Eltern und Betroffenen
helfen, diese Erkrankung anzunehmen, zu akzeptieren
und zu meistern.
Für weitere Informationen zum Bardet-Biedl-Syndrom scannen
Sie den QR-Code, oder melden Sie sich per E-Mail unter:
Der Rare Diseases Run 2023:
RUN FOR RARE!
Der Rare Diseases Run ist ein virtueller inklusiver Charity-Lauf, an
dem jeder teilnehmen kann! Ein großer Teil der Teilnahmegebühr
geht automatisch an verschiedene Organisationen, die sich mit
seltenen Erkrankungen befassen, darunter auch die
Bardet-Biedl-Patientengruppe.
Weitere Informationen zum Wettbewerb sowie Tickets
finden Sie unter: www.laufenmachtgluecklich.de
16
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de
Zielgerichtete Therapien bei Mukovoszidose:
Die konsequente Durchführung der Behandlung soll Betroffenen ein
normales und beschwerdefreies Leben ermöglichen
Mukoviszidose, auch zystische Fibrose (CF) genannt, ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die unbehandelt tödlich verläuft.
Warum eine frühe Diagnose und eine kontinuierliche Behandlung so wichtig sind, erklärt Prof. Dr. med. Marcus A. Mall im Interview.
Text Alexandra Lassas
Herr Prof. Mall, die Mukoviszidose ist
eine seltene Multiorganerkrankung
und eine der wenigen seltenen Erkrankungen,
die im Neugeborenen-Screening
abgebildet ist. Warum ist es so wichtig, die Erkrankung
möglichst früh zu diagnostizieren?
Das Organ, das bei den meisten Patienten die
stärksten Beschwerden verursacht, ist die Lunge.
Dort entsteht aufgrund des Gendefektes, der
der Mukoviszidose zugrunde liegt, ein besonders
zäher Schleim, welcher die Atemwege verstopft.
Das ist ein idealer Nährboden für Bakterien und
führt bereits bei kleinen Kindern zu einer chronischen
Infektion und Entzündung der Atemwege.
Diese chronische Entzündung zerstört fortschreitend
die Lunge. Unbehandelt erreichen
betroffene Kinder kaum das Schulalter. Durch
das Neugeborenen-Screening gibt es die Möglichkeit,
die Erkrankung frühzeitig zu diagnostizieren
und eine Therapie in die Wege zu leiten.
Ein früher Therapiebeginn hat das Potenzial, die
Entstehung von irreversiblen Organschäden, vor
allem an der Lunge, zu verzögern oder gar zu vermeiden.
Mit welchen Beschwerden haben Betroffene
zu kämpfen?
Neben der Lunge sind eine Reihe von weiteren
Organsystemen betroffen: dazu gehören die
Bauchspeicheldrüse, der Darm und die Leber.
Etwa 85% der Betroffenen haben aufgrund angeborener
Probleme mit der Bauchspeicheldrüse
eine Verdauungsstörung, die sich durch Bauchschmerzen
und chronische Durchfälle äußert.
Hierdurch kommt es bereits bei kleinen Kindern
zu einer Gedeihstörung, d.h. die Kinder nehmen
nicht ausreichend an Gewicht zu. Weiterhin leiden
sie durch die Schädigung der Lunge unter
chronischem Husten und häufigen Infekten der
Atemwege, bis hin zu Lungenentzündungen.
Durch die Beeinträchtigung der Bauchspeicheldrüse
kann zudem im weiteren Verlauf der Erkrankung
ein Diabetes hinzukommen. Außerdem
kann es zu Leberproblemen im Sinne einer
Leberzirrhose kommen.
Wie sehen die derzeitigen Therapieoptionen
aus?
Über lange Zeit konnten wir ausschließlich die
Symptome der Erkrankung behandeln, das aber
durchaus mit gutem Erfolg: denn so konnten
wir die Lebenserwartung für Betroffene bereits
auf über 40 Jahre steigern. Symptomorientiert
bedeutet z. B. für die Verdauungsstörungen, dass
die fehlenden Verdauungs-Enzyme der Bauchspeicheldrüse
ersetzt werden, um damit die
Durchfälle und Gedeihstörung zu behandeln.
Für die Lunge bedeutet das eine lebenslange,
schleimlösende Therapie: diese besteht zum
einen aus einer schleimlösenden Inhalationstherapie
unter Einsatz verschiedener schleimlösender
Medikamente, und zum anderen aus
Physiotherapie, um den Schleim aus der Lunge
abzutransportieren. Die Atemwegsinfektionen
werden mittels Inhalationen oder einer systematische
Antibiotikagabe behandelt. Alle Inhalationen
müssen mehrmals am Tag durchgeführt
werden und beschäftigen die Betroffenen oft
mehrere Stunden am Tag. Seit einigen Jahren
gibt es einen kausalen Therapieansatz, der ein
wahrer Durchbruch für Betroffene war, weil das
eigentliche Problem an der Wurzel angepackt
wird. Diese sogenannten CFTR-Modulatoren
greifen an dem durch den Gendefekt fehlgefaltetem
Protein an und setzen somit am Basisdefekt
der Erkrankung an.
Das Ziel ist, dass Betroffene
möglichst lange ein
normales, gesundes Leben
führen können, ohne dass
die Erkrankung das Steuer
übernimmt.
Seit einigen Jahren können wir so bis zu 90%
der Betroffenen behandeln. Betroffene müssen
dafür zweimal täglich Tabletten einnehmen,
was gegenüber der rein symptomorientierten
Behandlung einfach umzusetzen und viel weniger
zeitintensiv ist.
Zudem hat die systemische Verabreichung in
Form einer Tablette den Vorteil, dass jedes
betroffene Organ erreicht wird. Das ist ein echter
Fortschritt, der zu einer enormen Verbesserung
der Lebensqualität und voraussichtlich auch
der Lebenserwartung führt. Dadurch kann eine
potenziell tödliche Erkrankung zu einer behandelbaren,
chronischen Erkrankung werden.
Da es bisher noch keine Heilung für die Erkrankung
gibt, müssen Betroffene ein Leben
lang behandelt werden. Wie können Betroffene
motiviert bleiben, an der Therapie dranzubleiben?
Der langfristige Behandlungserfolg hängt wesentlich
von einer lebenslangen und regelmäßig
durchgeführten Therapie ab. Durch den Fortschritt
der angesprochenen Kausaltherapie werden
die Beschwerden deutlich weniger, was aber
nicht zum Vergessen oder Auslassen der Einnahme
führen darf. Daher ist vor allem auch bei
Kindern und Jugendlichen auf eine regelmäßige
Therapie zu achten. Die Betroffenen und ihre
Familien müssen daher auch in Zukunft engmaschig
betreut werden. Die Herangehensweise
sollte sein, dass man mit einem frühen Therapiebeginn
vor Auftreten der Beschwerden präventiv
tätig wird, anstatt wie früher den Problemen
hinterherzulaufen.
Der Schlüssel ist zudem, sowohl die Kinder als
auch ihre Familien in Schulungsprogrammen zu
erklären, was im Körper von Betroffenen passiert,
weshalb sie die Therapie durchführen, und was
passieren kann, wenn sie hier nachlässig werden.
Denn das Ziel ist ja, dass sie lange ein möglichst
normales, gesundes Leben führen können, ohne
dass die Erkrankung das Steuer übernimmt.
Prof. Dr.
Marcus A. Mall
Professor und
Direktor der Klinik
für Pädiatrie m.
S. Pneumologie,
Immunologie und
Intensivmedizin,
Ärztlicher Centrumsleiter
des
CharitéCentrum 17
für Frauen-, Kinder
und Jugendmedizin
mit Perinatalzentrum
und
Humangenetik,
Charité - Universitätsmedizin
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Leben ohne Sicht heißt nicht: aussichtslos!
Linda Meschke (36) leidet an der erblichen Netzhauterkrankung Retinitis Pigmentosa.
Sie sprach mit uns über ihren Weg bis zur Diagnose, über derzeitige Behandlungsmöglichkeiten
und ihren Alltag mit dieser seltenen Augenerkrankung.
Text Doreen Brumme
FOTO: SHUTTERSTOCK_1653925696
L
inda, wann traten Ihre Augenprobleme auf und wie kam es zur Diagnose
Retinitis Pigmentosa?
Ich konnte schon als Kind nicht gut sehen, trug in der Schule eine Brille. Regelmäßige
Besuche beim Augenarzt waren angesagt, irgendwann entdeckte dieser
Verknöcherungen auf meiner Netzhaut und meinte, dass ich damit im Dunkeln ja gar
nichts sehen müsste, was ich bejahte – für mich war das ein Normalzustand. Zudem hatte
ich von Anfang an auf beiden Augen einen grauen Star, also eine Eintrübung meiner
Augenlinsen, was mir mit 18 auch diagnostiziert wurde. Mit 27 wurde ich deshalb in der
Uniklinik Dresden operiert, da ich im Alltag schlecht zurechtkam. In den Entlassungspapieren
las ich zum ersten Mal die Diagnose: Retinitis Pigmentosa. Die gab ich bei
Google ein und ließ mir erklären, was es damit auf sich hat. Nach der Recherche wusste
ich zwei Dinge: Ich werde erblinden. Und es gibt nichts, was man dagegen tun kann.
Erst zwei, drei Jahre später ließ ich einen Gentest machen, der die Diagnose bestätigte.
Ihre Netzhautzellen sterben nach und nach ab und mindern Ihre Sehfähigkeit
zunehmend. Wie verändert das Ihren Alltag?
Die Veränderung von sehend zu blind verläuft in kleinen Schüben. Ich sehe die Welt
inzwischen mit einem Tunnelblick. Das heißt, bei guter Beleuchtung erkenne ich Dinge
in der Ferne noch sehr gut. Wobei die Betonung auf der guten Beleuchtung liegt, die
selten herrscht. Auch die Nahsicht ist noch gut: Ich kann lesen und meinen Bürojob
machen. Doch mein Sichtfeld ist mit 10 bis 15 Grad mittlerweile deutlich kleiner als das
eines Augengesunden (180 Grad). Ich bin im Alltag deshalb oft auf Hilfe angewiesen,
insbesondere dort, wo ich mich nicht auskenne oder wo viel los ist. Kaufe ich zum Beispiel
ein, erschrecke ich, wenn plötzlich jemand von links oder rechts in meinen „Sichttunnel“
tritt, denn ich habe ihn nicht kommen sehen. Meine buchstäblich schwindende
Aussicht lässt mich langsam das Vertrauen in mich selbst verlieren.
Die Retinitis Pigmentosa ist genetisch bedingt. Gab es in Ihrer Familie bereits
vor Ihnen bestätigte Fälle oder Familienangehörige, die entsprechende Symptome
gezeigt haben?
Mein Vater zeigt seit Langem zunehmende Symptome, hat das aber nie abklären lassen,
sondern verdrängt.
Warum engagieren Sie sich in der Patientenselbsthilfe der PRO RETINA?
Die Gewissheit, zu erblinden, stellte mein Leben auf den Kopf. Zumal der individuelle
Verlauf ungewiss ist. Bis zu der Erkenntnis, dass das Leben auch mit schlechter oder
ohne Sicht nicht aussichtslos ist, war es für mich ein langer Weg mit so manchem tiefen
Loch, in das ich fiel. Davor würde ich gerne andere Betroffene bewahren.
PRO RETINA e. V.
Der Selbsthilfeverein PRO RETINA Deutschland e. V. ist bundesweit die größte und
älteste Patientenvereinigung von und für Menschen mit Netzhauterkrankungen und
deren Angehörige. PRO RETINA unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen nach dem
Leitsatz „Forschung fördern, Krankheit bewältigen, selbstbestimmt leben“, fungiert als
Bindeglied zwischen Patient und Arzt und unterstützt die Forschungsförderung, damit
neue Therapien entwickelt werden. Für seine Arbeit ist der gemeinnützige Verein auf die
Unterstützung von Spendern und Sponsoren angewiesen.
Weitere Informationen unter: www.pro-retina.de
Perspektiven für Menschen mit seltenen Erkrankungen
Für die meisten der bisher bekannten rund 8.000 seltenen Krankheitsbilder gibt es aktuell noch keine Therapieoption. Das
Pharmaunternehmen Janssen hat den Anspruch, durch kontinuierliche Forschung einen Beitrag zu leisten, um Menschen
mit seltenen Krankheiten eine Perspektive bieten zu können.
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FOTO: ©JANSSEN-CILAG GMBH
Mit freundlicher Unterstützung der
Janssen-Cilag GmbH
„Wir forschen in den Bereichen, in denen der medizinische Bedarf hoch
ist – unabhängig davon, wie häufig eine Krankheit ist“, erklärt
Dr. med. Ursula Kleine-Voßbeck, medizinische Direktorin im Bereich
Lungenhochdruck bei Janssen Deutschland. „Unser Ziel ist, da anzusetzen,
wo wir einen entscheidenden Unterschied machen können.“ Für einige
seltene Krankheitsbilder konnte Janssen bereits erfolgreich Therapien
entwickeln, unter anderem im Bereich der Hämatologie, z. B. für
Menschen mit Amyloidose und Morbus Waldenström sowie für Lungenhochdruck.
Lunge unter Druck
Eine spezielle Form des Lungenhochdrucks ist die pulmonal arterielle
Hypertonie (kurz PAH). Bei dieser Krankheit stehen die Blutgefäße, die
vom Herz zur Lunge führen, unter einem zu hohen Druck. In der Folge
muss die rechte Herzhälfte immer stärker gegen diesen erhöhten Druck
arbeiten. Auf Dauer kann das Herz diese Leistung nicht erbringen. Bleibt
die Erkrankung unbehandelt, kann es zum Herzversagen kommen.
Besonders tückisch ist, dass die Leitsymptome der PAH zu Beginn sehr
unspezifisch sind (z. B. Atemnot, Druck auf der Brust, Erschöpfung) und
Verwechslungsgefahr mit häufigeren Krankheiten wie Asthma oder
COPD besteht.
Auch wenn eine PAH grundsätzlich jeden treffen kann, gibt es Risikogruppen:
Ein erhöhtes PAH-Risiko haben beispielsweise Menschen
mit einem angeborenen Herzfehler. Schätzungsweise entwickeln bis
zu zehn Prozent der Betroffenen eine PAH – selbst Jahrzehnte nach
erfolgreicher Korrektur des Herzfehlers. Außerdem sind chronische
Bindegewebserkrankungen wie die systemische Sklerose mit einem
erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden. Für diese Risikogruppen ist
daher ein regelmäßiger Check in spezialisierten Zentren zu empfehlen.
Je frühzeitiger im Verlauf die PAH erkannt wird, desto besser. Die Krankheit
ist aktuell nicht heilbar, aber es gibt mittlerweile gute Behandlungsmöglichkeiten.
Retinitis Pigmentosa: Gentest bringt Licht ins Dunkel
Janssen forscht zudem an Therapieoptionen für 16 weitere seltene
Krankheitsbilder, unter ihnen die seltene X-chromosomale Retinitis Pigmentosa.
Bei dieser erblich bedingten Netzhautdegeneration werden
die Photorezeptoren allmählich zerstört. Das erste Anzeichen ist eine
stärker werdende Nachtblindheit, die Betroffene oft bereits vor dem
10. Lebensjahr bemerken können. Aufgrund des progressiven Verlaufs
grenzt sich das Sichtfeld immer stärker ein, was bis zur Erblindung führen
kann. Der Großteil der Betroffenen ist männlich. Frauen haben meist
keine oder nur leichte Symptome, können aber Trägerin des mutierten
Gens sein und die Retinitis Pigmentosa an ihre Kinder weitergeben.
Ein Gentest ist für die Diagnose entscheidend: Denn nahezu 100
verschiedene Mutationen kommen als Auslöser der Retinitis Pigmentosa
in Betracht. Erst wenn der Gentest die Diagnose sichert bzw. eingrenzt,
kann über mögliche Behandlungsoptionen gesprochen werden. Selbst
wenn es für die vorliegende Genmutation heute noch keine Therapiemöglichkeit
gibt, ist die Testung sinnvoll. Betroffene können sich in ein
Register eintragen und für spätere Behandlungsoptionen vormerken
lassen. Außerdem bietet sich eventuell die Chance, an klinischen Studien
für aufkommende Therapieoptionen teilzunehmen.
Unter www.janssenwithme.de/erkrankungen
erhalten Sie umfangreiche Fakten und Hintergründe
sowohl zur PAH als auch zur Retinitis Pigmentosa.
Zudem finden Sie auf dem YouTube-Kanal von Janssen
Deutschland in der Playlist „Pulmonale Hypertonie“
zahlreiche Videos, die über Lungenhochdruck sowie
den Umgang mit der Erkrankung informieren.
EM-121536
18
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de
NDM: Leben im
eigenen Tempo
Nicht-dystrophe Myotonien
sind seltene, genetisch bedingte
neuromuskuläre Erkrankungen.
Das charakteristische Merkmal:
Betroffene sind aufgrund der
Krankheit nicht fähig, die der
körperlichen Bewegung dienenden
Muskeln (Skelettmuskulatur)
nach der Kontraktion sofort wieder
zu entspannen. Das kann die
Lebensqualität Betroffener stark
beeinträchtigen und sogar
lebensgefährlich werden.
Text Miriam Rauh
Caro, du bist betroffen von einer nicht-dystrophen
Myotonie, kurz NDM. Wann hast
du gemerkt, dass etwas gesundheitlich
nicht stimmt, und welche Beschwerden
hattest du?
Bei mir war früh zu sehen, dass etwas nicht stimmt. Ich
fing erst mit zwei Jahren an zu laufen, humpelte, wenn
ich nach längerem Sitzen wieder aufstand, und lief insgesamt
oft steif. Die Myotonie ist zwar eine Erkrankung,
die die Muskulatur des ganzen Körpers betrifft, aber bei
mir waren die Symptome in den Beinen am offensichtlichsten.
Meine Eltern gingen von Kinderarzt zu Kinderarzt,
immer hieß es, ich sei einfach zu faul oder das sei
normal und würde sich mit dem Wachstum ändern. Es
folgte die Fehldiagnose, es sei etwas mit meiner Hüfte.
Ich erhielt mehrere Jahre Physiotherapie. Erst als ich
neun war, äußerte ein Arzt Zweifel an der Hüft-These,
als er meine Röntgenbilder sah. Es folgten weitere
Untersuchungen und Tests und schließlich kam die
Diagnose: NDM.
Carolina ist betroffen von einer nicht-dystrophen Myotonie. Um andere Betroffene zu unterstützen,
engagiert sie sich im Patientenverein “Mensch & Myotonie e. V.“
FOTO: PRIVAT
Durch die genetische Mutation kann ich meine Muskeln
problemlos anspannen, aber nicht sofort entspannen.
Ich bin auch sehr wetterempfindlich, bei Wärme geht
es mir viel besser als bei Kälte. Die Krankheit kann sich
natürlich auch auf die Psyche auswirken – wenn es mir
gut geht, meine ich, ich könnte einen Marathon rennen,
wenn es mir schlecht geht, geht fast nichts.
Wenn es mir gut
geht, meine ich,
ich könnte einen
Marathon rennen,
wenn es mir
schlecht geht, geht
fast nichts.
Was waren/sind die größten Herausforderungen im
Zusammenhang mit der Erkrankung für dich?
Während ich noch im Wachstum war, wurde mir gesagt,
dass die Krankheit entweder besser oder schlechter
werden kann. Ich kenne mein Leben nicht ohne die
Erkrankung, ich weiß nicht, wie es anders ist. Natürlich
ist sie immer wieder anstrengend für mich, psychisch
und physisch, auch weil sich die Krankheit bei
mir verschlechtert hat. Als ich Kind war, spürte ich die
NDM nur in den Beinen, im Wachstum wurden auch
meine Hände langsam steif, dann meine Arme, mein
Rücken und auch die Zunge. Bevor ich die Medikamente
nahm, musste ich mich immer aufwärmen, wenn ich
z. B. telefonieren wollte. An diese Verschlechterungen
und Veränderungen musste ich mich gewöhnen, aber
insgesamt habe ich es schnell und gut gemeistert. Zum
Glück hatte ich auch die Unterstützung meiner Familie.
Wesentlich schwieriger war und ist für mich der
Umgang mit gesunden Menschen. Es ist nicht leicht,
Außenstehenden zu vermitteln, wie sich diese Myotonie
äußert. Ich gehe noch zur Schule, derzeit in die
11. Klasse. In diesem Jahr wurde vereinbart, dass ich in
Sport keine Noten bekomme, mich aber trotzdem beteilige.
Ich habe die Schule gewechselt, weil ich in der
vorherigen stark gemobbt wurde.
Ich habe meinen neuen Klassenkameraden nichts
von meiner Krankheit erzählt, weil ich die Erfahrung
gemacht habe, dass mein Umfeld nicht versteht, was
Myotonie ist. Mir würde es sehr weiterhelfen und mich
auch entspannen, dass andere respektieren, wenn ich
sage, dass ich etwas nicht machen kann, auch wenn
ich fünf Minuten später losrenne, als wäre nichts. Das
ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, aber so
ist die Myotonie. Wenn ich aufgewärmt bin, kann ich
einiges, was sonst nicht geht.
Wie wird deine Erkrankung behandelt und wie
wirkt sich das auf deinen Alltag bzw. deine Lebensqualität
aus?
Zurzeit bekomme ich Medikamente und werde durch
ein Krankenhaus in Rom betreut. Hier in Deutschland
hatte ich persönlich leider in der Vergangenheit nicht
sehr viel Glück mit den Ärzten.
Meine Mutter ist Italienerin, in Italien ging es sehr viel
schneller. Ich nehme Medikamente, seitdem ich zwölf
bin, und sie haben meine Lebensqualität stark verbessert.
Es gibt bessere und schlechtere Tage, aber ich habe
keine Schmerzen mehr.
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 19
Ist es für dich wichtig, dich mit anderen Betroffenen
über ihre Erfahrungen mit der Erkrankung auszutauschen?
Ich bin Mitglied im Verein „Mensch & Myotonie“. Es war
eine lebensverändernde Erfahrung für mich, anderen
Menschen zu begegnen, die das gleiche Schicksal haben
wie ich. Wenn man sein Leben lang behandelt wurde, als
würde man sich die Symptome ausdenken, fühlt es sich
wunderbar an, Menschen zu treffen, die dasselbe durchmachen.
Auch wenn die Erkrankung bei jedem anders
ist, erzählen alle über ihre Erfahrungen recht ähnliche
Geschichten und können gute Tipps geben.
Wenn man sein
Leben lang
behandelt wurde,
als würde man
sich die Symptome
ausdenken, fühlt
es sich wunderbar
an, Menschen zu
treffen, die dasselbe
durchmachen.
Informationen zur Patientenorganisation
„Mensch & Myotonie gem. e. V.“
Eine Mitgliedschaft in der ehrenamtlich von einer Myotonie -Betroffenen geführten Patientenorganisation
„Mensch & Myotonie gem. e. V.“ ist komplett kostenlos. Jeder zusätzliche Beitritt stärkt uns, unsere Interessen
in der Öffentlichkeit und bei Institutionen wahrzunehmen. Zusätzlich zu den „NDM“ engagieren wir uns auch für
Betroffene von „Periodischen Paralysen“ sowie von „Neuromyotonien“.
Machen Sie mit – in Ihrem und unserem Interesse!
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.menschundmyotonie.de
Kontakt
Mensch & Myotonie e. V.
Postfach 16 03 30
44333 Dortmund
1. Vorsitzender: Volker Kowalski
E-Mail: [email protected]
Tel.: 0231-803290 (ab 12 Uhr)
officialmyotonia.orga
www.instagram.com/officialmyotonia.orga/
myotonia.org
www.tiktok.com/@myotonia.org
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Ständig unter Strom, und doch blockiert
Ich bin sehr muskulös,
habe aber keine Kraft. Mein
Nachbar hält mich für einen
Macho, weil meine Frau die
Getränkekisten trägt….
Die Musik ist mein
Leben: die erste Geige
im Orchester spielen
– ein Traum, der
mit einer wirksamen
Therapie Realität
werden könnte.
Als ich
die Hand meines
neuen Chefs nicht
loslassen konnte, wäre
ich am liebsten im Boden
versunken. Ihm nicht
die Hand zu geben war
keine Option!
Kälte verstärkt
meine Symptome.
Wintersport –
ohne wirksame
Therapie ist das
undenkbar!
Meine Eltern
hielten mich für bockig,
weil ich vor der Treppe
stehen blieb und nicht
hochgehen konnte.
DE-NAM-2111-00005
Die Unfähigkeit, einen Muskel nach Anspannung schnell wieder zu entspannen, beeinträchtigt unser Leben in vielerlei Hinsicht. Alltägliche Dinge wie Händeschütteln,
Treppensteigen, nach dem Bus Rennen, sogar Aufstehen und einfach Loslaufen stellen enorme Herausforderungen dar und bedeuten emotionalen Stress für uns.
Äußerlich wirken wir gesund, teilweise sogar athletisch, was oft Unverständnis bei Außenstehenden hervorruft und uns zusätzlich belastet.
Wir lassen Sie nicht allein!
ERDBEBEN
TÜRKEI UND SYRIEN
© picture alliance / AA, Ozan Efeoglu
Jetzt spenden!
Starke Erdbeben haben in der Türkei und Syrien ein unvorstellbares Ausmaß der Zerstörung
hinterlassen. Viele Menschen sind tot und Tausende verletzt. Aktion Deutschland Hilft
leistet Nothilfe. Mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und medizinischer Hilfe.
Helfen Sie jetzt – mit Ihrer Spende!
Spendenkonto: DE62 3702 0500 0000 1020 30
Jetzt spenden: www.Aktion-Deutschland-Hilft.de