UNSERE GENE
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Im Zeitalter der
Gentherapien
FOTO: SHUTTERSTOCK_1773065498
Text Han Steutel
Han Steutel
Präsident des Verbands
der forschenden
Pharma-Unternehmen
(vfa)
Neulich fiel mir ein Zeitschriftenartikel
aus den 1980er-Jahren in die Hände.
Damals war es gerade gelungen, Insulin
für Diabetiker großtechnisch mit
Bakterien herzustellen; denn man hatte gelernt,
wie man einzelligen Organismen das dafür nötige
Gen aus menschlichen Zellen übertragen kann.
Seinerzeit war das ein großer Schritt; heute ist es
geradezu langweilige Routine. Spannend fand ich
aber, dass der Autor seinerzeit schon viel weiter
dachte, nämlich daran, wie viele Krankheiten
sich womöglich wirksam behandeln ließen, wenn
es gelänge, die richtigen Gene auch in die Zellen
von Patientinnen und Patienten einzufügen.
Damals war das Zukunftsmusik, heute leben wir
in der Zeit, in der das wirklich geht. Schon 13
Gentherapien sind in Deutschland verfügbar.
Sechs davon dienen dazu, Erbkrankheiten – also
angeborene Gendefekte – zu behandeln. Mit den
übrigen lassen sich Immunzellen der Betroffenen
fit für das Zerstören bestimmter Tumorzellen
machen. Und das ist nur der Anfang: Rund 40
weitere Gentherapien haben weltweit schon das
letzte Stadium der Erprobung erreicht. Und oftmals
sind sie es, die das Versprechen einlösen,
dass die Pharmaforschung auch für Menschen
arbeitet, an deren Krankheiten weltweit nur
wenige leiden.
Die für die Durchführung von Gentherapien entwickelten
Vektorviren und anderen „Genfähren“
werden zu den Medikamenten gerechnet. Doch
verläuft eine Therapie mit ihnen ganz anders als
man das sonst von Medikamenten gewohnt ist:
Geht alles gut, genügt eine einzige Behandlung
für eine therapeutische Langzeitwirkung – und
das bei chronischen Krankheiten, die man sonst,
wenn überhaupt, nur mit einer Dauermedikation
behandeln kann. Diese neue Situation haben viele
– trotz aller Vordenker seit den 1980er-Jahren
– bislang noch nicht verinnerlicht; und auch unser
Gesundheitswesen ist erst allmählich bereit, neue
Erstattungsmodelle zu erproben, wie es sie für
diese Therapien braucht. Und es wird im
kommenden Jahr für Unternehmen nicht einfacher,
hierzulande neue Gentherapien anzubieten.
Schon 13 Gentherapien
sind in
Deutschland
verfügbar.
Sechs davon
dienen dazu,
Erbkrankheiten
– also angeborene
Gendefekte –
zu behandeln. Mit
den übrigen lassen
sich Immunzellen
der Betroffenen fit
für das Zerstören
bestimmter
Tumorzellen
machen.
Die Regeln für die Nutzenbewertung und
die Preisfindung für neue Medikamente
wurden mit dem kürzlich verabschiedeten
Spargesetz weiter verschärft – und das gerade
auch für solche Mittel, die nicht mit großen
Patientenkollektiven erprobt werden können.
Es bleibt von daher abzuwarten, wie viele
der Gentherapien, die es durch die Zulassung
schaffen, künftig auch in Deutschland zur
Anwendung kommen können.
Auch wirken deutsche Krankenhäuser bislang
wenig an der klinischen Erprobung von Gentherapien
mit. Meist ist der Grund, dass es hierzulande
außergewöhnlich viel Zeit braucht bis eine
Studie wirklich beginnen kann, z. B. wegen langer
Vertragsverhandlungen oder der schwierigen
Klärung von Datenschutzbelangen etc. Das aber
bringt mit sich, dass hierzulande kaum ein
Mediziner schon vor der Zulassung lernt, wie die
Behandlungen durchzuführen sind.
All das sind keine erfreulichen Entwicklungen
für ein Land, das einmal zu den führenden in
der Gentherapieentwicklung zählte. Doch ich
glaube, dass die Einsicht reifen wird, dass Betroffene
zu Recht erwarten können, dass ihnen
medizinisch wichtige Therapien weiterhin zugänglich
gemacht werden. Und ich glaube sogar
daran, dass es Deutschland auch als Entwicklungsstandort
für Gentherapien wieder zu
Weltgeltung bringen kann. Denn dazu bereite
Firmen, Forschungsinstitute und Kliniken gibt es
hier; und die zuständige Arzneimittelbehörde,
das Paul-Ehrlich-Institut, hat viel Kompetenz
aufgebaut, um deren Arbeit konstruktiv zu begleiten.
Auch ist endlich politischer Wille erkennbar,
den Aufbau von Zentren für die Entwicklung
neuer Gen- und Zelltherapien zu fördern,
in denen Industrie und akademische Forschung
zusammenkommen. Aktuell geht hier das Land
Berlin voran. Deutschland könnte also doch
noch international zum Mitgestalter der Ära der
Gentherapien werden.