UNSERE GENE
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FOTO: PRIVAT
arschbrueste | Pias Instagram-Profil
Hast du je über eine genetische
Veranlagung nachgedacht,
als deine Mutter und deine
Schwester erkrankten?
Vor circa 20 Jahren, als meine Mutter krank
wurde, waren genetische Zusammenhänge
noch nicht so bekannt, es gab viel weniger
Informationen. Ich dachte damals‚
in unserer Familie gibt es einfach kein
Glück mit Brüsten. Die ganze Linie, Omas
und Opas, alle sind an Brustkrebs erkrankt.
Meine Schwester war selbst in
der Krebsforschung tätig, sie wusste, was
es alles gibt. Als sie krank wurde, hat sie
sofort einen Gentest gemacht, es war
BRCA1. Da realisierte ich zum ersten Mal,
dass Gene Krebs auslösen können. Meine
„Ich will nicht, dass du an
demselben Scheiß stirbst“
Das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, ist in Pias Familie genetisch
bedingt. Pias Schwester Manja ist mit 32 Jahren an Brustkrebs
verstorben und hat ihr vorab das Versprechen abgerungen, sich testen
zu lassen. Wie Pias Weg weiterging, erzählt sie im Interview.
Text Miriam Rauh
Schwester sagte mir immer: „Mach diesen
Gentest“. Ich habe das Thema aber zunächst
verdrängt, ich war Anfang 20 und
wollte nichts von Krankheit wissen. Aber
meine Mutter war jung erkrankt, meine
Schwester war erst 28 … Mir war klar, dass
es nicht nur alte Leute trifft. Als meine
Schwester im Sterben lag, sagte sie: „Stirb
nicht an demselben Scheiß!“ Ich musste
ihr versprechen, dass ich mich auch testen
lasse.
Dein Gentest sagte aus, dass das Risiko,
dass du vor deinem 30. Lebensjahr erkrankst,
bei 86 Prozent liegt. War dir
nach dem Ergebnis sofort klar, was das
bedeutet?
Als ich das Ergebnis bekam, war es, als
hätte ich mein Todesurteil bekommen. Ich
dachte, wenn meine große Schwester es
nicht geschafft hat, die sonst immer alles
hinbekommen hat, warum sollte ich es
schaffen? Ich hatte Panik. Das Ergebnis
hat auch erst mal meine weitere Familienplanung
auf Eis gelegt – meine große
Tochter war schon auf der Welt, aber ich
wollte mehrere Kinder. Das schob ich erst
mal ganz weit zur Seite.
Wie lief der Gentest damals bei dir ab?
Zunächst wurde eine Familienanamnese
gemacht, wer hatte welche Krebserkrankungen?
In unserem Fall betraf es die
ganze Linie. Dann folgte ein Bluttest. Es
dauerte ein paar Wochen bis das Ergebnis
kam. Dann hatte ich schwarz auf weiß, bei
welchen Krebsarten ein erhöhtes Risiko
für mich besteht. Das fühlte sich nicht gut
an.
Danach hast du dich für eine prophylaktische
Mastektomie entschieden.
Ist dir die Entscheidung schwergefallen?
Ich hatte wirklich Panik. Ich bekam das
Ergebnis, stand da und dachte, ich kann
nicht sterben, jedenfalls nicht jetzt und
nicht an Krebs. Vor dieser Grundlage fiel
es mir relativ leicht, mich von meinen
Brüsten zu verabschieden. Zu der Zeit
war meine ältere Tochter zehn Monate
alt, ich habe dann sehr schnell abgestillt,
weil ich keine Zeit verlieren wollte.
Meine Schwester hatte selbst gestillt, als
sie feststellte, dass etwas nicht in Ordnung
ist, es gab viele Parallelen. Zwischen
dem Testergebnis und der OP lagen nur
wenige Wochen.
„Mama, stimmt‘s, du hast Arschbrüste?!“
Das ist der Titel deines Buches. Wie
kam es zu dieser Aussage?
Der Satz kommt von meiner Tochter. Ich
hatte verschiedene Operationen hinter
mir; das Silikon, das zunächst nach der
Mastektomie eingesetzt worden war, hatte
ich nicht gut vertragen, mir wurden
dann neue Brüste aus eigenem Gewebe
aufgebaut. Meine Tochter wusste, dass ein
Teil von meinem Po jetzt in meiner Brust
ist, wir gehen offen damit um. Als ich sie
aus der Kita abholte, rief sie eines Tages
quer über den Platz: „Mama, stimmt’s, du
hast Arschbrüste?!“ Die anderen Eltern
starrten mich alle an. So bekam das Buch
seinen Titel.
Darüber zu reden, ist
sehr wichtig. Dem
Partner die Gefühle
mitteilen, damit der
andere weiß, was los ist.
Was rätst du anderen Betroffenen?
Etwas, das ich nicht gemacht habe –
sich Zeit nehmen für Entscheidungen.
Ich kann jeden verstehen, der erst mal
panisch reagiert, aber auf einen oder zwei
Tage kommt es nicht an. Auch sollte man
nicht alleine zum Arztgespräch gehen.
Vier Ohren hören mehr als zwei, besonders
wenn man eine belastende Nachricht
erhält. Es ist auch gut, sich eine
Zweit-meinung einzuholen. Und darüber
zu reden, ist sehr wichtig. Dem Partner
seine Gefühle mitteilen, damit der andere
weiß, was los ist.
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„Viele Frauen fürchten eine Chemotherapie –
wir Ärzte sind froh, dass uns dieser Test bei der Therapieentscheidung hilft“
Jede achte Frau in Deutschland erkrankt an Brustkrebs. Die Diagnose bleibt ein Schock – aber mittlerweile sieht die Perspektive für die meisten
Betroffenen deutlich besser aus als noch vor einigen Jahren. Auch weil Therapien immer individueller auf die jeweilige Patientin und ihre
Bedürfnisse zugeschnitten werden können. Prof. Dr. Florian Schütz, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Diakonissen-
Krankenhauses Speyer, erklärt, wie sich die Behandlung von Brustkrebs weiterentwickelt hat.
Herr Prof. Schütz, was empfinden Frauen nach einer
Brustkrebsdiagnose?
Direkt nach der Diagnose fühlen sich Frauen oft
alleingelassen. Sie sind mit einer Vielzahl von Untersuchungsergebnissen
und Entscheidungen konfrontiert, die letzten Endes
sie selbst treffen müssen. Zum Beispiel wenn es um die Entscheidung
für oder gegen eine Chemotherapie geht.
Was raten Sie Frauen in dieser Situation?
Das wird Sie vielleicht überraschen, aber meine erste Empfehlung
lautet oft: Nehmen Sie sich Zeit. Entscheiden Sie in aller
Ruhe über die nächsten Schritte.
Man würde denken, bei Krebs muss möglichst schnell
reagiert werden.
Krebs muss vor allem möglichst frühzeitig diagnostiziert werden.
Nach der Diagnose gibt es keinen Grund, sich sofort für diese
oder jene Therapie zu entscheiden. Frauen sollten alle Optionen
kennen, sich einen Arzt suchen, dem sie vertrauen und bei dem
sie sich wohl fühlen. An dieser Stelle möchte ich auch betonen, dass
die Medizin in den letzten Jahren große Fortschritte bei der Brustkrebsbehandlung
gemacht hat. Immer weniger Frauen sterben an
dieser Krankheit und es kommt immer seltener zu einer unnötigen
Belastung der Patientinnen.
Wie sieht eine möglichst wenig belastende Therapie aus?
Das ist von Patientin zu Patientin unterschiedlich. Brustkrebs
tritt in vielen unterschiedlichen Formen auf, jede davon verlangt
nach einer anderen Behandlung. Wenn es zum Beispiel darum
geht, eine Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie
zu treffen, benötigen wir eine möglichst genaue Einschätzung,
ob die Patientin von dieser Therapie profitiert. Bei Patientinnen
mit Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs war es schwierig, den
Nutzen einer Chemotherapie zusätzlich zur antihormonellen Therapie
anhand der verfügbaren Parameter wie zum Beispiel Tumorgröße
oder -wachstum zu bestimmen. Mittlerweile helfen uns Multigentests
wie der Oncotype DX Breast Recurrence Score® Test dabei.
Diese Tests werden mittlerweile auch von den Krankenkassen
erstattet. Wie funktionieren sie?
Sie ermöglichen es, risikorelevante Gene des Tumors zu analysieren,
das individuelle Rückfallrisiko und so den möglichen Nutzen
einer Chemotherapie zu bestimmen. Letzteres, die sogenannte
Prädiktion, ist besonders wichtig. Der mögliche Nutzen einer
Chemotherapie ist nämlich nicht zwangsläufig davon abhängig,
wie gut oder schlecht die Diagnose für die Patientin aussieht.
Es gibt mehrere dieser Tests. Der Oncotype DX® Test ist der
einzige Multigentest, der über prädiktive Eigenschaften verfügt.
Der Test identifiziert also die Frauen, denen eine Chemotherapie
hilft und auch diejenigen, die darauf verzichten
können. Für welche Patientinnen kommt er infrage?
Alle Patientinnen, bei denen ein Hormonrezeptor-positives, HER2/
neu-negatives und nodal-negatives Mammakarzinom im Frühstadium
diagnostiziert wurde und eine Entscheidung für oder gegen Chemotherapie
durch das Ergebnis des Tests, zusätzlich zu den konventionellen
Faktoren, auf einer validen Basis getroffen werden kann.
Wenn ich sehe, dass eine Patientin geeignet ist, schlage ich ihr
den Test frühestmöglich vor. Wir sind noch nicht soweit, dass Multigentests
in allen Brustzentren eingesetzt werden, deswegen halte ich
es für wichtig, dass möglichst viele Patientinnen die Multigentests
kennen und ihren Arzt oder ihre Ärztin darauf ansprechen können.
Prof. Dr. Florian Schütz
Chefarzt der Klinik für
Gynäkologie und Geburtshilfe
des Diakonissen-
Krankenhauses Speyer
Oncotype DX und Recurrence Score sind eingetragene Warenzeichen von Genomic Health, Inc. Exact Sciences ist ein eingetragenes Warenzeichen der Exact Sciences Corporation. © 2022 Genomic Health, Inc. Alle Rechte vorbehalten.